Adelbert von Chamisso Traum der eignen Tage (1829)

  Traum der eignen Tage,
  Die nun ferne sind.
  Tochter meiner Tochter,
  Du mein süßes Kind,
5 Nimm, bevor die Müde
  Deckt das Leichentuch,
  Nimm ins frische Leben
  Meinen Segensspruch.

  Siehst mich grau von Haaren,
10 Abgezehrt und bleich,
  Bin, wie du, gewesen
  Jung und wonnereich,
  Liebte, so wie du liebst,
  Ward, wie du, auch Braut,
15 Und auch du wirst altern,
  So wie ich ergraut.

  Laß die Zeit im Fluge
  Wandeln fort und fort,
  Nur beständig wahre
20 Deines Busens Hort;
  Hab ich's einst gesprochen,
  Nehm ich's nicht zurück:
  Glück ist nur die Liebe,
  Liebe nur ist Glück.

25 Als ich, den ich liebte,
  In das grab gelegt,
  Hab ich meine Liebe
  True in mir gehegt:
  War mein Herz gebrochen,
30 Blieb mir fest der Mut,
  Und des Alters Asche
  Wahrt die heilge Glut.

  Nimm, bevor die Müde
  Deckt das Leichentuch,
35 Nimm ins frische Leben
  Meinen Segensspruch:
  Muß das Herz dir brechen,
  Bleibe fesr dein Mut,
  Sei der Schmerz der Liebe
40 Dann dein höchstes Gut.

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