Albrecht von Haller Doris (1738)
Des Tages Licht hat sich verdunkelt,
Der Purpur, der im Westen funkelt,
Erblasset in ein falbes Grau;
Der Mond erhebt die Silber-Hörner,
5 Die kühle Nacht streut Silber-Körner,
Und tränkt die trockne Welt mit Thau.
Komm, Doris, komm zu jenen Buchen,
Laß uns den stillen Grund besuchen,
Wo nichts sich regt, als ich und du.
10 Nur noch der Hauch verliebter Weste
Belebt das schwanke Laub der Aeste,
Und winket dir liebkosend zu.
Die grüne Nacht belaubter Bäume,
Führt uns in Anmuthsvolle Träume,
15 Worein der Geist sich selber wiegt:
Er zieht die schweifenden Gedanken
In angenehm verengte Schranken,
Und lebt mit sich allein vergnügt.
Sprich Doris! fühlst du nicht im Herzen
20 Die zarte Regung sanfter Schmerzen.
Die süßer sind, als alle Lust?
Strahlt nicht dein holder Blick gelinder?
Rollt nicht dein Blut sich selbst geschwinder,
Und schwellt die Unschuldsvolle Brust?
25 Ich weiß, daß sich dein Herz befraget,
Und ein Begriff zum andern saget:
Wie wird mir doch? Was fühle ich?
Mein Kind! du wirst es nicht erkennen,
Ich aber werd es leichtlich nennen,
30 Ich fühle mehr als das für dich.
Du staunst; es regt sich deine Tugend,
Die holde Farbe keuscher Jugend
Deckt dein verschämtes Angesicht:
Dein Blut wallt von vermischtem Triebe,
35 Der strenge Ruhm verwirft die Liebe,
Allein dein Herz verwirft sie nicht.
Mein Kind erheitere deine Blicke,
Ergieb dich nur in dein Geschicke,
Dem nur die Liebe noch gefehlt.
40 Was willst du dir dein Glück mißgönnen?
Du wirst dich doch nicht retten können,
Wer zweifelt, der hat schon gewählt.
Der schönsten Jahre frische Blüthe
Belebt dein aufgeweckt Gemüthe,
45 Darein kein schlaffer Kaltsinn schleicht;
Der Augen Glut quillt aus dem Herzen,
Du wirst nicht immer fühllos scherzen,
Wen alles liebt, der liebet leicht.
Wie? sollte dich schrecken!
50 Mit Schaam mag sich das Laster decken,
Die Liebe war ihm nie verwandt;
Sieh' deine freudigen Gespielen,
Du fühlest, was sie alle fühlen,
Dein Brand ist der Natur ihr Brand.
55 O könnte dich ein Schatten rühren
Der Wollust, die zwey Herzen spüren,
Die sich einander zugedacht,
Du fodertest von dem Geschicke
Die langen Stunden selbst zurücke,
60 Die dein Herz müßig zugebracht.
Wann eine Schöne sich ergeben
Für den, der für sie lebt, zu leben,
Und ihr Verweigern wird ein Scherz:
Wann nach erkannter Treu des Hirten,
65 Die Tugend selbst ihn kränzt mit Myrten,
Und die Vernunft spricht wie das Herz;
Wann zärtlich Wehren, holdes Zwingen,
Verliebter Diebsthal, reitzends Ringen
Mit Wollust beyder Herz beräuscht,
70 Wann der verwirrte Blick der Schönen,
Ihr schwimmend Aug, voll seichter Thränen,
Was sie verweigert heimlich heischt.
Wann sich allein, mein Kind, ich schweige
Von dieser Lust, die ich dir zeige,
75 Ist, was ich sage, kaum ein Traum;
Erwünschte Wehmuth, sanft Entzücken!
Was wagt der Mund euch auszudrücken?
Das Herz begreift euch selber kaum.
Du seufzest, Doris! wirst du blöde?
80 O selig! flößte meine Rede
Dir den Geschmack des Liebens ein;
Wie angenehm ist doch die Liebe?
Erregt ihr Bild schon zarte Triebe,
Was wird das Urbild selber seyn?
85 Mein Kind, genieß des frühen Lebens,
Sey nicht so schön für dich vergebens,
Sey nicht so schön für uns zur Qual:
Schilt nicht der Liebe Furcht und Kummer,
Des kalten Gleichsinns eckler Schlummer,
90 Ist unvergnügter tausendmal.
Zu dem, was hast du zu befahren?
Laß andre nur ein Herz bewahren,
Das, wers besessen, gleich verläßt:
Du bleibst der Seelen ewig Meister,
95 Die Schönheit fesselt dir die Geister,
Und deine Tugend hält sie fest.
Erwähle nur von unsrer Jugend,
Dein Reich ist ja das Reich der Tugend,
Doch, darf ich rathen, wähle mich.
100 Was hilft es lang sein Herz verhehlen?
Du kanst von hundert edlern wählen,
Doch keinen, der dich liebt, wie ich.
Ein andrer wird mit Ahnen prahlen,
Der, mit erkauftem Glanze strahlen,
105 Der mahlt sein Feuer künstlich ab:
Ein jeder wird was anders preisen,
Ich aber habe nur zu weisen
Ein Herz, das mir der Himmel gab.
Trau nicht, mein Kind, jedwedem Freyer,
110 Im Munde trägt er doppelt Feuer,
Ein halbes Herz in seiner Brust:
Der, liebt den Glanz, der dich umgiebet,
Der, liebt dich, weil dich alles liebet,
Und der, liebt in dir seine Lust.
115 Ich aber liebe, wie man liebte,
Eh sich der Mund zum Seufzen übte,
Und Treu zu schwören ward zur Kunst:
Mein Aug ist nur auf dich gekehret,
Von allem, as man an dir ehret,
120 Begehr' ich nichts als deine Gunst.
Mein Feuer brennt nicht nur auf Blättern,
Ich suche nicht dich zu vergöttern,
Die Menschheit ziert dich allzusehr:
Ein andrer kann gelehrter klagen,
125 Mein Mund weiß weniger zu sagen,
Allein mein Herz empfindet mehr.
Was siehst du furchtsam hin und wieder,
Und schlägst die holden Blicke nieder?
Es ist kein fremder Zeuge nah:
130 Mein Kind, kann ich dich nicht erweichen?
Doch ja, dein Mund giebt zwar kein Zeichen,
Allein dein Seufzen sagt mir Ja.

Bibliographische Daten
Albrecht von Haller (1708-1777)
Doris
Des Tages Licht hat sich verdunkelt, …
1738
Aufklärung
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