Annette von Droste-Hülshoff Die junge Mutter (1842)

  Im grün verhangnen duftigen Gemach,
  Auf weißen Kissen liegt die junge Mutter;
  Wie brennt die Stirn! Sie hebt das Auge schwach
  Zum Bauer, wo die Nachtigall das Futter
5 Den nackten Jungen reicht: »mein armes Thier«,
  So flüstert sie, »und bist du auch gefangen
  Gleich mir, wenn draußen Lenz und Sonne prangen,
  So hast du deine Kleinen doch bei dir.«

  Den Vorhang hebt die graue Wärterin,
10 Und legt den Finger mahnend auf die Lippen;
  Die Kranke dreht das schwere Auge hin,
  Gefällig will sie von dem Tranke nippen;
  Er mundet schon, und ihre bleiche Hand
  Faßt fester den Kristall, – o milde Labe! –
15 »Elisabet, was macht mein kleiner Knabe?«
  »Er schläft«, versetzt die Alte abgewandt.

  Wie mag er zierlich liegen! – Kleines Ding! –
  Und selig lächelnd sinkt sie in die Kissen;
  Ob man den Schleyer um die Wiege hing,
20 Den Schleyer der am Erndtefest zerrissen?
  Man sieht es kaum, sie flickte ihn so nett,
  Daß alle Frauen höchlich es gepriesen,
  Und eine Ranke ließ sie drüber sprießen.
  »Was läutet man im Dom, Elisabet?«

25 »Madame, wir haben heut Mariatag.«
  So hoch im Mond? sie kann sich nicht besinnen. –
  Wie war es nur? – doch ihr Gehirn ist schwach.
  Und leise suchend zieht sie aus den Linnen
  Ein Häubchen, in dem Strale kümmerlich
30 Läßt sie den Faden in die Nadel gleiten;
  So ganz verborgen will sie es bereiten,
  Und leise, leise zieht sie Stich um Stich.

  Da öffnet knarrend sich die Kammerthür,
  Vorsicht'ge Schritte über'n Teppich schleichen.
35 »Ich schlafe nicht, Rainer, komm her, komm hier!
  Wann wird man endlich mir den Knaben reichen?«
  Der Gatte blickt verstohlen himmelwärts,
  Küßt wie ein Hauch die kleinen heißen Hände:
  »Geduld, Geduld, mein Liebchen, bis zum Ende!
40 Du bist noch gar zu leidend, gutes Herz.«

  »Du duftest Weihrauch, Mann.« – »Ich war im Dom;
  Schlaf, Kind«; und wieder gleitet er von dannen.
  Sie aber näht, und liebliches Phantom
  Spielt um ihr Aug' von Auen, Blumen, Tannen. –
45 Ach, wenn du wieder siehst die grüne Au,
  Siehst über einem kleinen Hügel schwanken
  Den Tannenzweig und Blumen drüber ranken,
  Dann tröste Gott dich, arme junge Frau!

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