August Schnezler Die verlassene Mühle (1846)
Das Wasser rauscht zum Wald hinein,
Es rauscht im Wald so kühle;
Wie mag ich wohl gekommen seyn
Vor die verlassne Mühle?
5 Die Räder, stille, morsch, bemoost,
Die sonst so fröhlich herumgetos't,
Dach, Gäng' und Fenster alle
In drohendem Verfalle.
Allein bei Sonnenuntergang
10 Da knisterten die Aeste,
Da trippelten den Bach entlang
Gar wunderliche Gäste:
Viel Männlein grau, von Zwergenart,
Mit dickem Kopf und langem Bart,
15 Sie schleppten Müllersäcke
Daher aus Busch und Hecke.
Und alsobald im Müllerhaus
Beginnt ein reges Leben,
Die Räder drehen sich im Saus,
20 Das Glöcklein schallt daneben;
Die Männlein laufen ein und aus
Mit Sack hinein und Sack heraus,
Und jeder von den Kleinen
Scheint nur ein Sack mit Beinen.
25 Und immer voller schwärmten sie
Wie Bienen um die Zellen,
Und immer toller lärmten sie
Durch das Getos der Wellen;
Mit wilder Hast das Glöcklein scholl,
30 Bis alle Säcke waren voll,
Und klar am Himmel oben
Der Vollmond sich erhoben.
Da öffnet sich ein Fensterlein,
Das einzige noch ganze,
35 Ein schönes bleiches Mägdelein
Zeigt sich im Mondenglanze,
Und ruft vernehmlich durchs Gebraus
Mit süßer Stimme Klang hinaus:
»Nun habt ihr doch, ihr Leute,
40 Genug des Mehls für heute!«
Da neigt das ganze Lumpenpack
Sich vor dem holden Bildniß,
Und jeder sitzt auf seinen Sack
Und reitet in die Wildniß;
45 Schön Müllerin schließt's Fenster zu,
Und Alles liegt in tiefer Ruh,
Des Morgens Nebel haben
Die Mühle ganz begraben. –
Und als ich kam den andern Tag,
50 In banger Ahnung Schauern,
Die Mühle ganz zerfallen lag
Bis auf die letzten Mauern.
Das Wasser rauschet neben mir hin,
Als wüßt' es, was ich fühle,
55 Und nimmermehr will aus dem Sinn
Mir die verlassne Mühle.

Bibliographische Daten
August Schnezler (1809-1853)
Die verlassene Mühle
Das Wasser rauscht zum Wald hinein, …
1846
Spätromantik
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