August Wilhelm Schlegel Arion Romanze (1797)

       Arion war der Töne Meister,
  Die Cither lebt' in seiner Hand;
  Damit ergötzt' er alle Geister,
  Und gern empfieng ihn jedes Land.
5         Er schiffte goldbeladen

           Jetzt von Tarents Gestaden,
  Zum schönen Hellas heimgewandt.

       Zum Freunde zieht ihn sein Verlagen,
  Ihn liebt der Herrscher von Korinth.
10 Eh in die Fremd' er ausgegangen,
  Bat der ihn, brüderlich gesinnt:
          Laß dir's in meinen hallen
          Doch ruhig wohlgefallen!
  Viel kann verlieren wer gewinnt.

15      Arion sprach: »Ein wandernd Leben
  »Gefällt der freien Dichterbrust.
  »Die Kunst, die mir ein Gott gegeben,
  »Sie sei auch vieler Tausend Lust.
              »An wohlerworbnen Gaben
20             »Wie werd' ich einst mich laben,
  »Des weiten Ruhmes froh bewußt!«

       Er steht im Schiff am zweiten Morgen,
  Die Lüfte wehen lind und warm,
  »O Periander, eitle Sorgen!
25 »Vergiß sie nun in meinem Arm!
          »Wir wollen mit Geschenken
          »Die Götter reich bedenken,
  »Und jubeln in der Gäste Schwarm.« –

       Es bleiben Wind und See gewogen,
30 Auch nicht ein fernes Wölkchen graut;
  Er hat nicht allzuviel den Wogen,
  Den Menschen allzuviel vertraut.
          Er hört die Schiffer flüstern,
          Nach seinen Schätzen lüstern;
35 Doch bald umringen sie ihn laut.

       »Du darfst, Arion, nicht mehr leben:
  »Begehrst du auf dem Land' ein Grab,
  »So mußt du hier den Tod dir geben;
  »Sonst wirf dich in das Meer hinab.« –
40         So wollt ihr mich verderben?
          Ihr mögt mein Gold erwerben,
  Ich kaufe gern mein Blut euch ab. –

       »Nein, nein, wir laßen dich nicht wandern,
  »Du wärst ein zu gefährlich Haupt.
45 »Wo blieben wir vor Periandern,
  »Verriethst du, daß wir dich beraubt?
          »Uns kann dein Gold nicht frommen,
          »Wenn wieder heimzukommen
  »Uns nimmermehr die Furcht erlaubt.« –

50      Gewährt mir denn noch Eine Bitte,
  Gilt, mich zu retten, kein Vertrag;
  Daß ich nach Citherspieler-Sitte,
  Wie ich gelebet, sterben mag.
          Wann ich mein Lied gesungen,
55         Die Saiten ausgeklungen,
  Dann fahre hin des Lebens Tag.

       Die Bitte kann sie nicht beschämen,
  Sie denken nur an den Gewinn.
  Doch solchen Sänger zu vernehmen,
60 Das reizet ihren wilden Sinn.
          »Und wollt ihr ruhig lauschen,
          »Laßt mich die Kleider tauschen:
  »Im Schmuck nur reißt Apoll mich hin.« –

       Der Jüngling hüllt die schönen Glieder
65 In Gold und Purpur wunderbar.
  Bis auf die Sohlen wallt hernieder
  Ein leichter faltiger Talar;
          Die Arme zieren Spangen,
          Um Hals und Stirn und Wangen
70 Fliegt duftend das bekränzte Haar.

        Die Rechte hält das Elfenbein.
  Er scheint erquickt die Luft zu trinken,
  Er strahlt im Morgensonnenschein.
          Es staunt der Schiffer Bande;
75         Er schreitet vorn zum Rande,
  Und sieht in's blaue Meer hinein.

       Er sang: »Gefährtin meiner Stimme!
  »Komm, folge mir ins Schattenreich!
  »Ob auch der Höllenhund ergrimme,
80 »Die Macht der Töne zähmt ihn gleich.
          »Elysiums Heroen,
          »Dem dunkeln Strom entflohen!
  »Ihr friedlichen, schon grüß' ich euch!

       »Doch könnt ihr mich des Grams entbinden?
85 »Ich laße meinen Freund zurück.
  »Du giengst, Eurydicen zu finden;
  »Der Hades barg dein süßes Glück.
          »Da wie ein Traum zerronnen
          »Was dir dein Lied gewonnen,
90 »Verfluchtest du der Sonne Blick. –

       »Ich muß hinab, ich will nicht zagen!
  »Die Götter schauen aus der Höh.
  »Die ihr mich wehrlos habt erschlagen,
  »Erblaßet, wenn ich untergeh'!
95         »Den Gast, zu euch gebettet,
          »Ihr Nereïden, rettet!« –
  So sprang er in die tiefe See.

       Ihn decken alsobald die Wogen,
  Die sichern Schiffer segeln fort.
100 Delphine waren nachgezogen,
  Als lockte sie ein Zauberwort:
          Eh Fluten ihn ersticken,
          Beut einer ihm den Rücken
  Und trägt ihn sorgsam hin zum Port.

105      Des Meers verworrenes Gebrause
  Ward stummen Fischen nur verliehn;
  Doch lockt Musik aus salz'gem Hause
  Zu frohen Sprüngen den Delphin.
          Sie konnt' ihn oft bestricken,
110         Mit sehnsuchtsvollen Blicken
  Dem falschen Jäger nachzuziehn.

       So trägt den Sänger mit Entzücken
  Das menschenliebend sinn'ge Thier.
  Er schwebt auf dem gewöbten Rücken,
115 Hält im Triumph der Leier Zier,
          Und kleine Wellen springen
          Wie nach der Saiten Klingen
  Rings in dem blaulichen Revier.

       Wo der Delphin sich sein entladen,
120 Der ihn gerettet uferwärts,
  Da wird dereinst an Felsgestaden
  Das Wunder aufgestellt in Erz.
          Jetzt, da sich jedes trennte
          Zu seinem Elemente,
125 Grüßt ihn Arions volles Herz:

       »Leb' wohl und könnt' ich dich belohnen,
  »Du treuer, freundlicher Delphin!
  »Du kannst nur hier, ich dort nur wohnen:
   »Gemeinschaft ist uns nicht verliehn.
130         »Dich wird auf feuchten Spiegeln
          »Noch Galatea zügeln,
  »Du wirst sie stolz und heilig ziehn.« –

       Arion eilt nun leicht von hinnen,
  Wie einst er in die Fremde fuhr;
135 Schon glänzen ihm Korinthus Zinnen,
  Er wandelt singend durch die Flur.
          Mit Lieb' und Lust geboren,
          Vergißt er was verloren,
  Bleibt ihm der Freund, die Cither nur.

140      Er tritt hinein: »Vom Wanderleben
  »Nun ruh' ich, Freund, an deiner Brust.
  »Die Kunst, die mir ein Gott gegeben,
  »Sie wurde vieler Tausend Lust.
          »Zwar falsche Räuber haben
145         »Die wohlerworbnen Gaben,
  »Doch bin ich mir des Ruhms bewußt.«

       Dann spricht er von den Wunderdingen,
  Daß Periander staunend horcht.
  »Soll Jenen solch ein Raub gelingen?
150 »Ich hätt' umsonst die Macht geborgt.
          »Die Thäter zu entdecken,
          »Mußt du dich hier verstecken,
  »So nah'n sie wohl sich unbesorgt.« –

       Und als im Hafen Schiffer kommen,
155 Bescheidet er sie zu sich her.
  »Habt vom Arion ihr vernommen?
  Mich kümmert seine Wiederkehr.« –
          Wir ließen recht im Glücke
          Ihn zu Tarent zurücke. –
160 Da, siehe! tritt Arion her.

       Gehüllt sind seine schönen Glieder
  In Gold und Purpur wunderbar.
  Bis auf die Sohlen wallt hernieder
  Ein leichter, faltiger Talar;
165         Die Arme zieren Spangen,
          Um Hals und Stirn und Wangen
  Fliegt duftend das bekränzte Haar.

       Die Cither ruht in seiner Linken,
  Die Rechte hält das Elfenbein.
170 Sie müßen ihm zu Füßen sinken,
  Es trifft sie wie des Blitzes Schein.
          »Ihn wollten wir ermorden;
          »Er ist zum Gotte worden:
  »O schläng' uns nur die Erd' hinein!« –

175      »Er lebet noch, der Töne Meister;
  »Der Sänger steht in heil'ger Hut.
  »Ich rufe nicht der Rache Geister,
  »Arion will nicht euer Blut.
          »Fern mögt ihr zu Barbaren,
180         »Des Geizes Knechte, fahren;
  »Nie labe Schönes euren Muth!«

Neuen Kommentar hinzufügen

Die Technik der Kommentarfunktion "DISQUS" wird von einem externen Unternehmen, der Big Head Labs, Inc., San Francisco/USA., zur Verfügung gestellt, die Moderation der Kommentare liegt allein bei Lyrik123.de. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.