Christian Daniel Friedrich Schubart Die Aussicht (1784)

  Schön ist's, von des Thränenberges Höhen
  Gott auf seiner Erde wandeln sehen,
       Wo sein Odem die Geschöpfe küßt.
  Auen sehen, drauf Natur, die treue,
5 Eingekleidet in des Himmels Bläue,
       Schreitet, und wo Milch und Honig fließt!

  Schön ist's in des Tränenberges Lüften
  Bäume sehn, in silberweißen Düften,
       Die der Käfer wonnesummend trinkt;
10 Und die Straße sehn im weiten Lande,
  Menschenwimmelnd, wie vom Silbersande
       Sie, der Milchstraß' gleich am Himmel, blinkt.

  Und der Neckar blau vorüberziehend,
  In dem Gold der Abendsonne glühend,
15      Ist dem Späherblicke Himmelslust;
  Und den Wein, des siechen Wandrers Leben,
  Wachsen sehn an mütterlichen Reben,
       Ist Entzücken für des Dichters Brust.

  Aber, armer Mann, du bist gefangen;
20 Kannst du trunken an der Schönheit hangen?
       Nichts auf dieser schönen Welt ist dein!
  Alles, alles ist in tiefer Trauer
  Auf der weiten Erde; denn die Mauer
       Meiner Veste schließt mich Armen ein!

25 Doch herab von meinem Thränenberge
  Seh' ich dort den Moderplatz der Särge;
       Hinter einer Kirche streckt er sich
  Grüner als die andern Plätze alle:
  Ach! herab von meinem hohen Walle
30      Seh' ich keinen schönern Platz für mich!

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