Clemens Brentano An S. (1813)

  Wie war dein Leben
  So voller Glanz,
  Wie war dein Morgen
  So kindlich Lächlen,
5 Wie haben sich alle
  Um dich geliebt,
  Wie kam dein Abend
  So betend zu dir,
  Und alle beteten
10 An deinem Abend.

  Wie bist du verstummt
  In freundlichen Worten,
  Und wie dein Aug’ brach
  In sehnenden Tränen,
15 Ach da schwiegen alle Worte
  Und alle Tränen
  Gingen mit ihr.

  Wohl ging ich einsam,
  Wie ich jetzt gehe,
20 Und dachte deiner,
  Mit Liebe und Treue –
  Da warst du noch da
  Und sprachst lächlend:
  Sehne dich nimmer nach mir,
25 Da der Lenz noch so freudig ist
  Und die Sonne noch scheint –

  Am stillen Abend,
  Wenn die Rosen nicht mehr glühen
  Und die Töne stumm werden,
30 Will ich bei dir sein
  In traulicher Liebe,
  Und dir sagen,
  Wie mir am Tage war.

  Aber mich schmerzte tief,
35 Daß ich so einsam sei,
  Und vieles im Herzen.
  O warum bist du nicht bei mir!
  Sprach ich, und siehst mich
  Und liebst mich,
40 Denn mich haben manche verschmäht,
  Und ich vergesse nimmer,
  Wie sie falsch waren
  Und ich so treu und ein Kind.

  Da lächeltest du des Kindes
45 Im einsamen Wege,
  Und sprachst: harre zum Abend,
  Da bist du ruhig
  Und ich bei dir in Ruhe.

  Dein Herz wie war es da,
50 Daß du nicht trautest,
  Viel Schmerzen waren in dir,
  Aber du warest größer als Schmerzen,
  Wie die Liebe, die süßer ist,
  Als all ihr Schmerz.

55 Und die Armut, der du gabst,
  War all dein Trost,
  Und die Liebe, die du freundlich
  Anderen pflegtest,
  War all deine Liebe.

60 Einsam ging ich nicht mehr,
  Du warst mir begegnet
  Und blicktest mich an –
  Scherzend war dein Aug’
  Und deine Lippe so tröstend –
65 Dein Herz lag gereift
  In der liebenden Brust.

  Freundlich sprachst du:
  Nun ist bald Abend,
  Gehe, vollende,
70 Daß wir dann ruhen,
  Und sprechen vom Tage.

  Wie ich mich wendete –
  Ach der Weg war so schwer!
  Langsam schritt ich,
75 Und jeder Schritt wollte wurzeln,
  Ich wollte werden wie ein Baum,
  All meine Arme,
  Blüten und Blätter,
  Sehnend dir neigen.

80 Oft blickte ich rückwärts
  Hin, wo du warst,
  Da lagen noch Strahlen,
  Da war noch Sonne
  Und die hohen Bäume glänzten
85 Im ernsten Garten,
  Wo du gingst.

  Ach der Abend wird nicht kommen
  Und die Ruhe nicht,
  Auf Erden ist keine Ruhe.

90 Nun ist es Abend,
  Aber wo bist du?
  Daß ich dir sage,
  Wie der Tag war.

  Warum hörtest du mich nicht,
95 Als du noch da warst?
  Nun bin ich einsam,
  Und denke deiner
  Liebend und treu.

  Die Sonne scheint nicht,
100 Und die Rosen glühen nicht,
  Stumm sind die Töne –
  O! Warum kömmst du nicht,
  Willst du nicht halten,
  Was du versprachst?
105 Willst du nicht hören,
  Soll ich nicht hören,
  Wie der Tag war?

  Wie war dein Leben,
  So voller Glanz,
110 Wie war dein Morgen
  So kindlich Lächlen,
  Wie habe ich immer
  Um dich mich geliebt,
  Wie kömmt dein Abend
115 So betend zu mir,
  Und wie bete ich
  An deinem Abend.

  Am Tage hörtest du mich nicht,
  Denn du warst der Tag,
120 Du kamst nicht am Abend,
  Denn du bist der Abend geworden.

  Wie ist der Tag verstummt
  In freundlichen Worten,
  Wie ist sein Aug’ gebrochen
125 In sehnenden Tränen,
  Ach da schweigen alle meine Worte,
  Und meine Sehnsucht zieht mit dir.

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  • Olaf Leitner

    Einem Gedicht aus der Romantik ein Video beizugeben, ist erfreulich ungewöhnlich und macht neugierig. Schade, dass Sie den öffentlichen Raum INTERNET teilprivatisieren. Dem Brentano hilft es nicht. Und er verdient doch beachtet zu werden – trotz Twitter und Facebook, trotz der 140Zeichen-Diktatur.

    Freundliche Grüße

    .