Ernst Moritz Arndt Der Stromgeiger auf Starkoddurs Grabe (1811)

  1811

  Der Mond ist aufgegangen,
  Der Thurm hat Zwölf geschlagen,
  Mit hunderttausend Wagen
5 Rennt hell das Sterngespann;
  Da taucht er aus den Fluthen
  Und rührt die goldnen Saiten,
  Daß still die Wellen gleiten,
  Der alte Geigenmann;
10 Ihm strahlt sein Haar in Gluthen,
  Ihm klirrt ein Schwerdt zur Seiten,
  Das Geier kämpfend deuten:
  Er ist ein stolzer Mann.
  Er schwingt sich hoch mit Sausen
15 Empor zum Felsenwalle,
  Er haut mit lautem Schalle
  Das Grab mit blankem Schwerdt,
  Und dumpfe Schrecken brausen
  Die schwarzen Wellen alle
20 Aus seines Stromes Tiefe,
  Wie's aus der Scheide fährt.
  Er ruft mit heller Stimme:
  Thu' auf, Gesell der Jugend!
  Mich lüstet deiner Tugend,
25 Thu' auf dein Felsenbett!

  Nicht lang', es tönt im Grimme
  Herauf vom harten Steine:
  Wo ist der Schalk, der meine
  Ruhstätte stören geht?
30 Ich lob' ihm, ich erscheine
  Auf leichter Geisterschwinge –
  Weh' ihm, wenn meiner Klinge
  Er nicht gerüstet steht!

  Drauf klingt der Felsenboden
35 Gleich einem gläsern Berge,
  Der für das Spiel der Zwerge
  Um Mitternacht zerspringt;
  Er läßt den hohen Todten
  Heraus mit blanken Waffen,
40 Er schwingt den Stahl in straffen,
  Gewalt'gen Fäusten, welcher
  Durch alle Helme dringt;
  Es wächst ihm Haupt und Schulter,
  Wie wenn in Mitternächten
45 Die Wolkengeister fechten
  Und Zorn vom Himmel klingt.

  Laß' ab mit mir zu streiten!
  Wir sind ja Waffenbrüder –
  Kenn' deinen Ivar wieder!
50 Kenn' auch dies Falkenschwerdt!
  Dein Zorn macht Helden grauen,
  O laß' dich freundlich schauen,
  Starkoddur, kühner Degen!
  Du erster Kämpfer werth!
55 O reiche mir die Rechte,
  Dem alten Streitgenossen!
  Ich sang viel tausend Nächte
  Seit deinem langen Schlaf;
  Manch Wasser ist geflossen
60 Seitdem herab vom Berge,
  Als mich vom falschen Zwerge
  Der böse Zauber traf.
  Nun muß ich einsam spielen
  Dem leichten Nachtgesindel
65 Dreihunderttausend Sommer
  Aus tiefem Wassergrund.
  O laß' die Hand mich fühlen,
  Verflucht von mancher Spindel,
  Du Tapfrer und du Frommer!
70 Thu' mir die Liebe kund.
  Denn die hier oben weiden
  Sind Söhne kleiner Männer,
  Nicht kühne Lanzenrenner,
  Nicht Reiter auf der See.

75 Und jener schlägt in Freuden
  Auf ihn die dunklen Blicke
  Und neiget mild das Eisen
  Und reicht die Hand ihm hin.
  So stehen da die Beiden
80 Im kurzen alten Glücke,
  Dann tönt es: Ich muß reisen,
  Woher ich kommen bin.

  Und plötzlich sank er wieder
  Zurück zum kalten Bette,
85 Zurück zur finstern Nacht;
  Es schloß der Stein sich wieder,
  Mit diamantner Kette
  Band ihn der Tod ans Lager,
  Daß laut empor es kracht.

90 Der Geiger schlägt die Saiten,
  Er schlägt die goldnen Töne:
  Der Jugend Kraft und Schöne
  Brennt ihm das Herz mit Macht;
  Und süße Töne gleiten
95 Den längst begrabnen Zeiten,
  Und in dem grauen Busen
  Blüht alles frisch erwacht.
  Da kam der flinke Reigen
  Der Elfen aus den Zweigen,
100 Aus Bergen und aus Quellen,
  Und tanzten in der Nacht.
  Sie tanzten, bis mit hellen
  Gesängen Lerchen klangen –
  Da war die Zeit vergangen,
105 Da war das Leid vollbracht.

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