Ferdinand Freiligrath »Wär’ ich im Bann von Mekkas Toren« (1836)
1836
Wär' ich im Bann von Mekkas Toren,
Wär' ich auf Yemens glühndem Sand,
Wär' ich am Sinai geboren,
5 Dann führt' ein Schwert wohl diese Hand;
Dann zög' ich wohl mit flücht'gen Pferden
Durch Jethros flammendes Gebiet!
Dann hielt' ich wohl mit meinen Herden
Rast bei dem Busche, der geglüht;
10 Dann abends wohl vor meinem Stamme,
In eines Zeltes luft'gem Haus,
Strömt' ich der Dichtung innre Flamme
In lodernden Gesängen aus;
Dann wohl an meinen Lippen hinge
15 Ein ganzes Volk, ein ganzes Land;
Gleichwie mit Salomonis Ringe
Herrscht' ich, ein Zauberer, im Sand.
Nomaden sind ja meine Hörer,
Zu deren Geist die Wildnis spricht;
20 Die vor dem Samum, dem Zerstörer,
Sich werfen auf das Angesicht;
Die allzeit auf den Rossen hängen,
Absitzend nur am Wüstenbronn;
Die mit verhängten Zügeln sprengen
25 Von Aden bis zum Libanon;
Die nachts, als nimmermüde Späher,
Bei ihrem Vieh ruhn auf der Trift,
Und, wie vorzeiten die Chaldäer,
Anschaun des Himmels goldne Schrift;
30 Die oft ein Murmeln noch vernehmen
Von Sina's glutgeborstnen Höhn,
Die oft des Wüstengeistes Schemen
In Säulen Rauches wandeln sehn;
Die durch den Riß oft des Gesteines
35 Erschaun das Flammen seiner Stirn -
Ha, Männer, denen glühnd wie meines
In heißen Schädeln brennt das Hirn.
O Land der Zelte, der Geschosse!
O Volk der Wüste, kühn und schlicht!
40 Beduin, du selbst auf deinem Rosse
Bist ein phantastisches Gedicht! -
Ich irr' auf mitternächt'ger Küste;
Der Norden, ach, ist kalt und klug.
Ich wollt', ich säng' im Sand der Wüste,
45 Gelehnt an eines Hengstes Bug.

Bibliographische Daten
Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
»Wär’ ich im Bann von Mekkas Toren«
Hart an dem Bolsener See,* …
1836
Vormärz
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