Friedrich Anton Franz Bertrand Adelwold und Emma

  Hoch und ehern schier von Dauer,
  Ragt' ein Ritterschloß empor;
  Bären lagen an dem Tor
  Beute schnaubend auf der Lauer,
5 Türme zingelten die Mauer
  Gleich den Riesen - bange Schauer
  Wehten brausend, wie ein Meer,
  Von den Tannenwipfeln her.

  Aber finstrer Kummer nagte
10 Mutverzehrend um und an
  Hier am wackern deutschen Mann,
  Dem kein Feind zu trotzen tagte,
  Fuhr er auf vorn Traum, und fragte -
  Jetzt mit Seufzer - jetzt mit Schrei,
15 Wo sein teurer Letzer sei?

  »Vater! Ruhe nicht dem Lieben.«
  Flüstert einstens Emma drein -
  »Sieh, er schläft im Kämmerlein
  Sanft und stolz - was kann ihn trüben?«
20 »Ich nicht rufen? - sind nicht die Sieben
  Meiner Söhn' im Kampf geblieben?
  Weint' ich nicht schon fünfzehn Jahr
  Um das Weib, das euch gebar?«

  Emma hört's und schmiegt mit Beben
25 Weinend sich an seine Brust.
  »Vater! sieh dein Kind - ach früh
  War dein Beifall mein Bestreben!«
  Wie, wenn, Trosteswort zu geben,
  Boten Gottes niederschweben,
30 Führt der Holden Red' und Blick
  Neue Kraft in ihn zurück.

  Heiter preßt er sie ans Herze:
  »O vergib, daß ich vergaß,
  Welchen Schatz ich noch besaß,
35 Übermannt von meinem Schmerze!
  Aber sprachst du nicht im Scherze -
  Wohl dann! bei dem Schein der Kerze
  Wandle mit mir einen Gang
  Stracks den düstern Weg entlang«

40 Zitternd folgte sie, bald gelangen
  Sie zur Halle, graus und tief,
  Wo die Schar der Väter schlief;
  Rings im Kreis' an Silberspangen
  Um ein achtes hergehangen,
45 Leuchteten mit bleichem bangen
  Grabesschimmer fort und fort
  Sieben Lämplein diesem Ort.

  Unter'n Lämplein war's von Steinen...
  Traun! erzählen kann ich's nicht
50 War's so traurig zugericht,
  War's so ladend ach zum Weinen.
  »Bei den heiligen Gebeinen,
  Welchen diese Lampen scheinen«
  Ruft er laut - »beschwör« ich dich
55 Traute Tochter, höre mich.

  Mein Geschlecht seit grauen Zeiten
  War - wie Rittersmännern ziemt -
  Keck, gestreng' und fast berühmt;
  In des Grabes Dunkelheit
60 Sank die Reih' von Biederleuten -
  Sanken die, so mich erfreuten,
  Bis einst der Posaune Hall
  Sie wird wecken allzumal.

  Nie vergaßen deine Brüder
65 Dieser großen Ahnen Wert;
  Reich und Kaiser schüzt' ihr Schwert
  Wie ein deckendes Gefieder;
  (Ach, die Tapfern sanken nieder!)
  Gib sie, Tochter, gib sie wieder
70 Mir im wackern Bräutigam,
  Dir erkiest aus Heldenstamm.

  »Aber Fluch! ...« Und mit dem Worte
  Gleich als jägt ihn Nacht und Graus -
  Zog er plötzlich sie hinaus
75 Aus dem schauervollen Orte ...
  Emma wankte durch die Pforte:
  »Ende nicht die Schreckensworte!
  Denk' an Himmel und Gericht!
  O verwirf, verwirf mich nicht!«

80 Bleich, wie sie, mit bangem Zagen
  Lehnt des Ritters Knappe hier;
  Wie dem Sünder wird's ihm schier,
  Den die Schrecken Gottes schlagen;
  Kaum zu atmen tät er wagen -
85 Kaum die Kerze vorzutragen
  Hatte, matt und fieberhaft,
  Seine Rechte noch die Kraft.

  Adelwolden bracht als Weise
  Mitleidsvoll auf seinem Roß
90 Einst der Ritter nach dem Schloß
  Heim von einer fernen Reise -
  Pflegte sein mit Trank und Speise
  Tät' ihn hegel in dem Kreise
  Seiner Kinder - oft und viel
95 War er tummelnd ihr Gespiel.

  Aber Emma ... seine ganze
  Zarte Seele webt' um sie,
  War es frühe Sympathie?
  Froh umwand sie seine Lanze
100 Im Turnier mit einem Kranze -
  Schwebte leichter dann im Tanze
  Mit dem Ritter, keck und treu,
  Als das Lüftchen schwebt im Mai.

  Rosig auf zum Jüngling blühte
105 Bald der Niedre von Geschlecht;
  Edler lohnte nie ein Knecht
  Seines Pflegers Vatergüte;
  Aber heiß und heißer glühte -
  Was zu dämpfen er sich mühte;
110 Fester knüpft' ihn, fester' ach!
  An das Fräulein jeder Tag.

  Fest und fester sie an ihren
  Süßen trauten Adelwold,
  »Was sind Wappen, Land, und Gold -
115 Sollt' ich Arme dich verlieren?
  Was die Flitter, so mich zieren?
  Was Bankete bei Turnieren?
  Wappen, Land, Geschmuck, und Gold
  Löhnt ein Traum von Adelwold!«

120 So das Fräulein, wenn der Schleier
  Grauer Nächte sie umfing;

  Doch mit eins, als Emma heute
  Spät noch betet, weint, und wacht,
  Steht, gehüllt in Pilgertracht,
125 Adelwold an ihrer Seite:

  »Leiten soll mich dieser Stecken
  Hin in Zions heilges Land -
  Wo vielleicht ein Häuflein Sand
  Bald den Armen wird bedecken...
130 Meine Seele muß erschrecken,
  Durch Verrat sich zu beflecken
  An dem Mann, der, mild und Groß
  Er mich trug in seinen Schoß.

  Selig träumt' ich einst als Knabe
135 Engel - ach vergib es mir!
  Denn ein Bettler bin ich schier;
  Nur dies Herz ist meine Habe.«
  »Jüngling - ach an diesem Stabe
  Führst du treulos mich zum Grabe.
140 Du würgest - Gott verzeih es dir!
  Die dich liebte für und für!«

  Und schon wankte der Entzückte
  Als des Fräuleins keuscher Arm -
  Ach so weiß, so weich und warm!
145 Sanft ihn hin zum Busen drückte...
  Aber fürchterlicher Blicke -
  Was ihm schier ihr Kuß entrückte;
  Und vom Herzen, das ihm schlug,
  Riß ihn schnell des Vaters Fluch.

150 »Lindre, Vater, meine Wunde -
  Keinen Laut aus deinem Munde!
  Keine Zähr' in dieser Stunde!
  Keine Sonne die mir blickt!
  Keine Nacht die mich erquickt!«

155 Gold, Gestein, und Seide nimmer
  Schwört sie, fort zu legen an;
  Keine Zofe darf ihr nahn
  Und kein Knappe jetzt und nimmer,
  Oft bei trautem Mondesschimmer
160 Wallt sie barfuß über Trümmer,
  Wild verwachsen, steil und rauh,
  Noch zur hochgelobten Frau.

  Ritter! ach schon weht vom Grabe
  Deiner Emma Totenluft!
165 Schon umschwärmt der Väter Gruft
  Ahnend Käuzlein, Eul' und Rabe; -
  Weh dir weh! an seinem Stabe
  Folgt sie willig ihm zum Grabe
  Hin, wo mehr denn Helm und Schild
170 Liebe, Treu' und Tugend gilt...

  Selbst dem Ritter tät sich senken
  Tief und tiefer jetzt das Haupt;
  Kaum daß er der Mähr noch glaubt;
  Seufzen tät er itzt - itzt denken,
175 Was den Jüngling konnte kränken? -
  Ob ein Spiel von Neid und Ränken? -
  Ob?... Wie ein Gespenst der Nacht
  Schreckt' ihn - was er jetzt gedacht.

  Hergeführt auf schwülen Winden,
180 Muß ein Strahl die Burg entzünden,

  Tosend gleich den Wogen wallen
  Rings die Gluten - krachend dräun
  Säul und Wölbung, Balk' und Stein,
  Stracks in Trümmer zu zerfallen;
185 Angstruf und Verzweiflung schallen
  Grausend durch die weiten Hallen;
  Stürmend drängt und atemlos
  Knecht und Junker aus dem Schloß.

  »Richter! ach verschone!«
190 Ruft der Greis mit starrem Blick -
  »Gott! mein Kind! - es bleibt zurück! -
  Rettet - daß euch Gott einst lohne! -
  Gold und Silber, Land und Frohne,
  Jede Burg, die ich bewohne,
195 Ihrem Retter zum Gewinn -
  Selbst dies Leben geb' ich hin für sie.«

  Gleiten ab von tauben Ohren
  Tät des Hochbedrängten Schrei; -
  Aber plötzlich stürzt herbei,
200 Der ihr Treue zugeschworen -
  Stürzt nach den entflammten Toren -
  Gib mit Freuden sich verloren;
  Jeder staunend fern und nah
  Wähnt' ein Blendwerk, was er sah.

205 Glut an Glut! und jedes Streben
  Schien vergebens! - endlich faßt
  Er die teure, süße Last,
  Kalt und sonder Spur von Leben;
  Doch beginnt ein leises Beben
210 Herz und Busen jetzt zu heben
  Und durch Flamme, Dampf und Graus
  Trägt er glücklich sie hinaus.

  Purpur kehrt auf ihre Wangen,
  Wo der Traute sie geküßt...
215 »Jüngling! sage, wer du bist -
  Ich beschwöre dich - der Bangen;
  Hält ein Engel mich umfangen,
  Der auf seinem Erdenflug
  Meines Lieben Bildnis trug?

220 Starr zusammenschrickt der Blöde -
  Denn der Ritter noch am Tor
  Lauscht mit hingewandtem Ohr
  Jedem Laut der süßen Rede;

  Doch den Zweifler tät ermannen
225 Bald des Ritters Gruß und Kuß
  Dem im süßesten Genuß
  Hell der Wonne Zähren rannen;
  »Du es, du, sag' an, von wannen?
  Was dich konnt' von mir verbannen?
230 Was dich - nimmer lohn' ich's dir -
  Emma wiedergab und mir?«

  »Deines Fluchs mich zu entlasten
  War es Pflicht, daß ich entwich
  Eilig, wild und fürchterlich
235 Trieb's mich sonder Ruh und Rasten;
  Dort im Kloster, wo sie praßten,
  Labten Tränen mich und Fasten,
  Bis der frommen Pilger Schar
  Voll zum Zug versammelt war.

240 Doch mit unsichtbaren Ketten
  Zog mich plötzlich Gottes Hand
  Jetzt zurück von Land zu Land
  Her zu Burg, mein Teuerstes zu retten,
  (Stürme mich beflügelt hätten,)
245 Nimm sie, Ritter, nimm und sprich
  Das Urteil über mich."

  Emma harrt, in düstres Schweigen,
  Wie in Mitternacht gehüllt;
  Starrer denn ein Marmorbild,
250 Harren furchterfüllte Zeugen;
  Denn es zweifelten die Feigen,
  Ob den Ritterstolz zu beugen
  Je vermöcht' ein hoher Mut
  Sonder Ahnenglanz und Gut.

255 »Dein ist Emma! ewig dein! - längst entscheiden
  Tät der Himmel; rein wie Gold
  Bist du funden, Adelwold -
  Groß in Edelmut und Leiden;
  Nimm! - ich gebe sie mit Freuden;
260 Nimm! - der Himmel tät entscheiden -
  Nannte selbst im Donnerlaut
  Sie vor Engeln deine Braut.

  Nimm sie hin mit Vatersegen;
  Ihn wird neben meine Schuld -
265 Ach mit Langmut und Geduld!
  Der einst kommt, Gericht zu hegen,
  Auf die Prüfungswage legen -
  Mir verzeihn um euretwegen
  Der von eitlem Stolz befleckt,
270 Beid' euch schier ins Grab gestreckt.«

  Fest umschlungen itzt von ihnen,
  Blickt der Greis zum Himmel auf;
  »Fröhlich endet sich mein Lauf!«
  Spuren der Verklärung schienen
275 Aus des Hochentzückten Mienen -
  Und auf dampfenden Ruinen
  Fügt' er schweigend' ihre Hand
  In das langersehnte Band.

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  • P.Dellitsch

    Der Dichter der Ballade Adelwold und Emma, Bertrand, wurde nicht 1787 geboren, sondern 1751 (vielleicht aber auch erst 1757). Diese Ballade hat er bereits 1799 publiziert.