Friedrich Hölderlin Griechenland
An St. (1798)

  Hätt’ ich dich im Schatten der Platanen,
  Wo durch Blumen der Cephissus rann,
  Wo die Jünglinge sich Ruhm ersannen,
  Wo die Herzen Sokrates gewann,
5 Wo Aspasia durch Myrten wallte,
  Wo der brüderlichen Freude Ruf
  Aus der lärmenden Agora schallte,
  Wo mein Plato Paradiese schuf,

  Wo den Frühling Festgesänge würzten,
10 Wo die Ströme der Begeisterung
  Von Minervens heil’gem Berge stürzten –
  Der Beschützerin zur Huldigung –
  Wo in tausend süßen Dichterstunden,
  Wie ein Göttertraum, das Alter schwand,
15 Hätt’ ich da, Geliebter, dich gefunden,
  Wie vor Jahren dieses Herz dich fand;

  Ach! wie anders hätt’ ich dich umschlungen! –
  Marathons Heroën sängst du mir,
  Und die schönste der Begeisterungen
20 Lächelte vom trunknen Auge dir,
  Deine Brust verjüngten Siegsgefühle,
  Deinen Geist, vom Lorbeerzweig umspielt,
  Drückte nicht des Lebens dumpfe Schwüle,
  Die so karg der Hauch der Freude kühlt.

25 Ist der Stern der Liebe dir verschwunden?
  Und der Jugend holdes Rosenlicht?
  Ach! umtanzt von Hellas goldnen Stunden,
  Fühltest du die Flucht der Jahre nicht,
  Ewig, wie der Vesta Flamme, glühte
30 Mut und Liebe dort in jeder Brust,
  Wie die Frucht der Hesperiden, blühte
  Ewig dort der Jugend stolze Lust.

  Ach! es hätt’ in jenen bessern Tagen
  Nicht umsonst so brüderlich und groß
35 Für das Volk dein liebend Herz geschlagen,
  Dem so gern der Freude Zähre floß! –
  Harre nun! sie kömmt gewiß die Stunde,
  Die das Göttliche vom Kerker trennt –
  Stirb! du suchst auf diesem Erdenrunde,
40 Edler Geist! umsonst dein Element.

  Attika, die Heldin, ist gefallen;
  Wo die alten Göttersöhne ruhn,
  Im Ruin der schönen Marmorhallen
  Steht der Kranich einsam trauernd nun;
45 Lächelnd kehrt der holde Frühling nieder,
  Doch er findet seine Brüder nie
  In Ilissus heilgem Tale wieder –
  Unter Schutt und Dornen schlummern sie.

  Mich verlangt ins ferne Land hinüber
50 Nach Alcäus und Anakreon,
  Und ich schlief’ im engen Hause lieber,
  Bei den Heiligen in Marathon;
  Ach! es sei die letzte meiner Tränen,
  Die dem lieben Griechenlande rann,
55 Laßt, o Parzen, laßt die Schere tönen,
  Denn mein Herz gehört den Toten an!

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