Friedrich Leopold Graf zu Stolberg Romanze (1774)

  In der Väter Hallen ruhte
       Ritter Rudolf's Heldenarm,
  Rudolf's, den die Schlacht erfreute,
  Rudolf's, welchen Frankreich scheute
5      Und der Sarazenen Schwarm.

  Er, der letzte seines Stammes,
       Weinte seiner Söhne Fall;
  Zwischen Moosbewachs'nen Mauern
  Tönte seiner Klage Trauern
10      In der Zellen Wiederhall.

  Agnes mit den goldnen Locken
       War der Greisen Trost und Stab;
  Sanft wie Tauben, weiß wie Schwäne,
  Küßte sie des Vaters Thräne
15      Von den grauen Wimpern ab.

  Ach! Sie weinte selbst im Stillen,
       Wenn der Mond in's Fenster schien.
  Albrecht mit der offnen Stirne
  Brannte für die edle Dirne,
20      Und die Dirne liebte ihn!

  Aber Horst, der hundert Krieger
       Unterhielt in eignem Sold,
  Rühmte seines Stammes Ahnen,
  Prahlte mit erfocht'nen Fahnen,
25      Und der Vater war ihm hold.

  Einst bei'm freien Mahle küßte
       Albrecht ihre weiche Hand,
  Ihre sanften Augen strebten
  Ihn zu strafen, ach! da bebten
30  Thränen auf das Busenband.

  Horst erbrannte, blickte seitwärts
       Auf sein schweres Mordgewehr:
  Auf des Ritters Wange glühte
  Zorn und Liebe; Feuer sprühte
35      Aus den Augen wild umher.

  Drohend warf er seinen Handschuh
       In der Agnes keuschen Schoos;
  »Albrecht nimm! zu dieser Stunde
  Harr' ich dein im Mühlengrunde!«
40      Kaum gesagt, schon flog sein Roß.

  Albrecht nahm das Fehdezeichen
       Ruhig, und bestieg sein Roß;
  Freute sich des Mädchens Zähre,
  Die, der Lieb' und ihm zur Ehre,
45      Aus dem blauen Auge floß.

  Röthlich schimmerte die Rüstung
       In der Abendsonne Strahl;
  Von den Hufen ihrer Pferde
  Tönte weit umher die Erde
50      Und die Hirsche floh'n in's Thal.

  Auf des Söllers Gitter lehnte
       Die betäube Agnes sich,
  Sah die blanken Speere blinken,
  Sah – den edlen Ritter sinken
55      Sank, wie Albrecht, und erblich.

  Bang' von leiser Ahndung spornet
       Horst sein schaumbedecktes Pferd;
  Höret nun des Hauses Jammer,
  Eilet in des Fräuleins Kammer,
60      Starrt und stürzt sich in sein Schwert.

  Rudolf nahm die kalte Tochter
       In den väterlichen Arm,
  Hielt sie so zwei lange Tage,
  Thränenlos und ohne Klage
65      Und verschied im stummen Harm.

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