Friedrich Rückert Nächtlicher Gang (1823)
Die Fahnen flattern
Im Mitternachtssturm,
Die Schiefern knattern
Am Kirchenturm:
5 Ein Windzug zischt,
Die Latern' verlischt.
Es muß doch zur Liebsten gehn!
Dies Totenkapell'
Mit dem Knochenhaus;
10 Der Mond guckt hell
Zum Fenster heraus;
Haussen jeder Tritt
Geht drinnen auch mit -
Es muß doch zur Liebsten gehn!
15 Der Judengott'sacker
Am Berg dort herab
Ein weißes Geflacker
Auf jedem Grab;
Ein Uhu ruft
20 Den andern: Schuft.
Es muß doch zur Liebsten gehn!
Drüben am Bach
Auf dem Wintereis
Ein Geplatz, ein Gekrach
25 Als ging' dort, wer weiß;
Jetzt wieder ganz still.
Laß sein, was will...
Es muß doch zur Liebsten gehn!
Am Pachthof vorbei;
30 Aus dem Hundehaus
Fahren kohlschwarz zwei
Statt des einen heraus,
Gähnen mich an
Mit glührotem Zahn.
35 Es muß doch zur Liebsten gehn!
Dort vor dem Fenster,
Dahinter sie ruht,
Stehn zwei Gespenster
Und halten die Hut;
40 Drin schläft die Braut,
Ächzt im Traume laut...

Bibliographische Daten
Friedrich Rückert (1788-1866)
Nächtlicher Gang
Die Fahnen flattern …
1823
Spätromantik
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