Friedrich Schiller Das Lied von der Glocke (1799)

   Vivos voco
   Mortuos plango
   Fulgura frango

  Fest gemauert in der Erden
5 Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
  Heute muß die Glocke werden.
  Frisch Gesellen, seid zur Hand.
  Von der Stirne heiß
  Rinnen muß der Schweiß,
10 Soll das Werk den Meister loben,
  Doch der Segen kommt von oben.

  Zum Werke, das wir ernst bereiten,
  Geziemt sich wohl ein ernstes Wort;
  Wenn gute Reden sie begleiten,
15 Dann fließt die Arbeit munter fort.
  So laßt uns jetzt mit Fleiß betrachten,
  Was durch die schwache Kraft entspringt,
  Den schlechten Mann muß man verachten,
  Der nie bedacht, was er vollbringt.
20 Das ist's ja, was den Menschen zieret,
  Und dazu ward ihm der Verstand,
  Daß er im innern Herzen spüret,
  Was er erschafft mit seiner Hand.

  Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
25 Doch recht trocken laßt es sein,
  Daß die eingepreßte Flamme
  Schlage zu dem Schwalch hinein.
  Kocht des Kupfers Brei,
  Schnell das Zinn herbei,
30 Daß die zähe Glockenspeise
  Fließe nach der rechten Weise.

  Was in des Dammes tiefer Grube
  Die Hand mit Feuers Hülfe baut,
  Hoch auf des Turmes Glockenstube
35 Da wird es von uns zeugen laut.
  Noch dauern wird's in späten Tagen
  Und rühren vieler Menschen Ohr
  Und wird mit dem Betrübten klagen
  Und stimmen zu der Andacht Chor.
40 Was unten tief dem Erdensohne
  Das wechselnde Verhängnis bringt,
  Das schlägt an die metallne Krone,
  Die es erbaulich weiterklingt.

  Weiße Blasen seh ich springen,
45 Wohl! Die Massen sind im Fluß.
  Laßt's mit Aschensalz durchdringen,
  Das befördert schnell den Guß.
  Auch von Schaume rein
  Muß die Mischung sein,
50 Daß vom reinlichen Metalle
  Rein und voll die Stimme schalle.

  Denn mit der Freude Feierklange
  Begrüßt sie das geliebte Kind
  Auf seines Lebens erstem Gange,
55 Den es in Schlafes Arm beginnt;
  Ihm ruhen noch im Zeitenschoße
  Die schwarzen und die heitern Lose,
  Der Mutterliebe zarte Sorgen
  Bewachen seinen goldnen Morgen.-
60 Die Jahre fliehen pfeilgeschwind.
  Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe,
  Er stürmt ins Leben wild hinaus,
  Durchmißt die Welt am Wanderstabe.
  Fremd kehrt er heim ins Vaterhaus,
65 Und herrlich, in der Jugend Prangen,
  Wie ein Gebild aus Himmelshöhn,
  Mit züchtigen, verschämten Wangen
  Sieht er die Jungfrau vor sich stehn.
  Da faßt ein namenloses Sehnen
70 Des Jünglings Herz, er irrt allein,
  Aus seinen Augen brechen Tränen,
  Er flieht der Brüder wilden Reihn.
  Errötend folgt er ihren Spuren
  Und ist von ihrem Gruß beglückt,
75 Das Schönste sucht er auf den Fluren,
  Womit er seine Liebe schmückt.
  O! zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
  Der ersten Liebe goldne Zeit,
  Das Auge sieht den Himmel offen,
80 Es schwelgt das Herz in Seligkeit.
  O! daß sie ewig grünen bliebe,
  Die schöne Zeit der jungen Liebe!

  Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
  Dieses Stäbchen tauch ich ein,
85 Sehn wir's überglast erscheinen,
  Wird's zum Gusse zeitig sein.
  Jetzt, Gesellen, frisch!
  Prüft mir das Gemisch,
  Ob das Spröde mit dem Weichen
90 Sich vereint zum guten Zeichen.

  Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
  Wo Starkes sich und Mildes paarten,
  Da gibt es einen guten Klang.
  Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
95 Ob sich das Herz zum Herzen findet!
  Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
  Lieblich in der Bräute Locken
  Spielt der jugfräuliche Kranz,
  Wenn die hellen Kirchenglocken
100 Laden zu des Festes Glanz.
  Ach! des Lebens schönste Feier
  Endigt auch den Lebensmai,
  Mit dem Gürtel, mit dem Schleier
  Reißt der schöne Wahn entzwei.
105 Die Leidenschaft flieht!
  Die Liebe muß bleiben,
  Die Blume verblüht,
  Die Frucht muß treiben.
  Der Mann muß hinaus
110 Ins feindliche Leben,
  Muß wirken und streben
  Und pflanzen und schaffen,
  Erlisten, erraffen,
  Muß wetten und wagen,
115 Das Glück zu erjagen.
  Da strömet herbei die unendliche Gabe,
  Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe,
  Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.
  Und drinnen waltet
120 Die züchtige Hausfrau,
  Die Mutter der Kinder,
  Und herrschet weise
  Im häuslichen Kreise,
  Und lehret die Mädchen
125 Und wehret den Knaben,
  Und reget ohn Ende
  Die fleißigen Hände,
  Und mehrt den Gewinn
  Mit ordnendem Sinn.
130 Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
  Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
  Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
  Die schimmernde Wolle, den schneeigten Lein,
  Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer,
135 Und ruhet nimmer.

  Und der Vater mit frohem Blick
  Von des Hauses weitschauendem Giebel
  Überzählet sein blühend Glück,
  Siehet der Pfosten ragende Bäume
140 Und der Scheunen gefüllte Räume
  Und die Speicher, vom Segen gebogen,
  Und des Kornes bewegte Wogen,
  Rühmt sich mit stolzem Mund:
  Fest, wie der Erde Grund,
145 Gegen des Unglücks Macht
  Steht mir des Hauses Pracht!
  Doch mit des Geschickes Mächten
  Ist kein ewger Bund zu flechten,
  Und das Unglück schreitet schnell.

150 Wohl! nun kann der Guß beginnen,
  Schön gezacket ist der Bruch.
  Doch bevor wir's lassen rinnen,
  Betet einen frommen Spruch!
  Stoßt den Zapfen aus!
155 Gott bewahr das Haus!
  Rauchend in des Henkels Bogen
  Schießt's mit feuerbraunen Wogen.

  Wohtätig ist des Feuers Macht,
  Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
160 Und was er bildet, was er schafft,
  Das dankt er dieser Himmelskraft,
  Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
  Wenn sie der Fessel sich entrafft,
  Einhertritt auf der eignen Spur
165 Die freie Tochter der Natur.
  Wehe, wenn sie losgelassen
  Wachsend ohne Widerstand
  Durch die volkbelebten Gassen
  Wälzt den ungeheuren Brand!
170 Denn die Elemente hassen
  Das Gebild der Menschenhand.
  Aus der Wolke
  Quillt der Segen,
  Strömt der Regen,
175 Aus der Wolke, ohne Wahl,
  Zuckt der Strahl!
  Hört ihr's wimmern hoch vom Turm?
  Das ist Sturm!
  Rot wie Blut
180 Ist der Himmel,
  Das ist nicht des Tages Glut!
  Welch Getümmel
  Straßen auf!
  Dampf wallt auf!
185 Flackernd steigt die Feuersäule,
  Durch der Straße lange Zeile
  Wächst es fort mit Windeseile,
  Kochend wie aus Ofens Rachen
  Glühn die Lüfte, Balken krachen,
190 Pfosten stürzen, Fenster klirren,
  Kinder jammern, Mütter irren,
  Tiere wimmern
  Unter Trümmern,
  Alles rennet, rettet, flüchtet,
195 Taghell ist die Nacht gelichtet,
  Durch der Hände lange Kette
  Um die Wette
  Fliegt der Eimer, hoch im Bogen
  Sprützen Quellen, Wasserwogen.
200 Heulend kommt der Sturm geflogen,
  Der die Flamme brausend sucht.
  Prasselnd in die dürre Frucht
  Fällt sie in des Speichers Räume,
  In der Sparren dürre Bäume,
205 Und als wollte sie im Wehen
  Mit sich fort der Erde Wucht
  Reißen, in gewaltger Flucht,
  Wächst sie in des Himmels Höhen
  Riesengroß!
210 Hoffnungslos
  Weicht der Mensch der Götterstärke,
  Müßig sieht er seine Werke
  Und bewundernd untergehn.

  Leergebrannt
215 Ist die Stätte,
  Wilder Stürme rauhes Bette,
  In den öden Fensterhöhlen
  Wohnt das Grauen,
  Und des Himmels Wolken schauen
220 Hoch hinein.

  Einen Blick
  Nach den Grabe
  Seiner Habe
  Sendet noch der Mensch zurück -
225 Greift fröhlich dann zum Wanderstabe.
  Was Feuers Wut ihm auch geraubt,
  Ein süßer Trost ist ihm geblieben,
  Er zählt die Haupter seiner Lieben,
  Und sieh! ihm fehlt kein teures Haupt.

230 In die Erd ist's aufgenommen,
  Glücklich ist die Form gefüllt,
  Wird's auch schön zutage kommen,
  Daß es Fleiß und Kunst vergilt?
  Wenn der Guß mißlang?
235 Wenn die Form zersprang?
  Ach! vielleicht indem wir hoffen,
  Hat uns Unheil schon getroffen.

  Dem dukeln schoß der heilgen Erde
  Vertrauen wir der Hände Tat,
240 Vertraut der Sämann seine Saat
  Und hofft, daß sie entkeimen werde
  Zum Segen, nach des Himmels Rat.
  Noch köstlicheren Samen bergen
  Wir trauernd in der Erde Schoß
245 Und hoffen, daß er aus den Särgen
  Erblühen soll zu schönerm Los.

  Von dem Dome,
  Schwer und bang,
  Tönt die Glocke
250 Grabgesang.
  Ernst begleiten ihre Trauerschläge
  Einen Wandrer auf dem letzten Wege.

  Ach! die Gattin ist's, die teure,
  Ach! es ist die treue Mutter,
255 Die der schwarze Fürst der Schatten
  Wegführt aus dem Arm des Gatten,
  Aus der zarten Kinder Schar,
  Die sie blühend ihm gebar,
  Die sie an der treuen Brust
260 Wachsen sah mit Mutterlust -
  Ach! des Hauses zarte bande
  Sind gelöst auf immerdar,
  Denn sie wohnt im Schattenlande,
  Die des Hauses Mutter war,
265 Denn es fehlt ihr treues Walten,
  Ihre Sorge wacht nicht mehr,
  An verwaister Stätte schalten
  Wird die Fremde, liebeleer.

  Bis die Glocke sich verkühlet,
270 Laßt die strenge Arbeit ruhn,
  Wie im Laub der Vogel spielet,
  Mag sich jeder gütlich tun.
  Winkt der Sterne Licht,
  Ledig aller Pflicht
275 Hört der Pursch die Vesper schlagen,
  Meister muß sich immer plagen.

  Munter fördert seine Schritte
  Fern im wilden Forst der Wandrer
  Nach der lieben Heimathütte.
280 Blökend ziehen
  Heim die Schafe,
  Und der Rinder
  Breitgestirnte, glatte Scharen
  Kommen brüllend,
285 Die gewohnten Ställe füllend.
  Schwer herein
  Schwankt der Wagen,
  Kornbeladen,
  Bunt von Farben
290 Auf den Garben
  Liegt der Kranz,
  Und das junge Volk der Schnitter
  Fliegt zum Tanz.
  Markt und Straße werden stiller,
295 Um des Lichts gesellge Flamme
  Sammeln sich die Hausbewohner,
  Und das Stadttor schließt sich knarrend.
  Schwarz bedecket
  Sich die Erde,
300 Doch den sichern Bürger schrecket
  Nicht die Nacht,
  Die den Bösen gräßlich wecket,
  Denn das Auge des Gesetzes wacht.

  Heilge Ordnung, segenreiche
305 Himmelstochter, die das Gleiche
  Frei und leicht und freudig bindet,
  Die der Städte Bau begründet,
  Die herein von den Gefilden
  Rief den ungesellgen Wilden,
310 Eintrat in der Menschen Hütten,
  Sie gewöhnt zu sanften Sitten
  Und das teuerste der Bande
  Wob, den Trieb zum Vaterlande!

  Tausend fleißge Hände regen,
315 helfen sich in munterm Bund,
  Und in feurigem Bewegen
  Werden alle Kräfte kund.
  Meister rührt sich und Geselle
  In der Freiheit heilgem Schutz.
320 Jeder freut sich seiner Stelle,
  Bietet dem Verächter Trutz.
  Arbeit ist des Bürgers Zierde,
  Segen ist der Mühe Preis,
  Ehrt den König seine Würde,
325 Ehret uns der Hände Fleiß.

  Holder Friede,
  Süße Eintracht,
  Weilet, weilet
  Freundlich über dieser Stadt!
330 Möge nie der Tag erscheinen,
  Wo des rauhen Krieges Horden
  Dieses stille Tal durchtoben,
  Wo der Himmel,
  Den des Abends sanfte Röte
335 Lieblich malt,
  Von der Dörfer, von der Städte
  Wildem Brande schrecklich strahlt!

  Nun zerbrecht mir das Gebäude,
  Seine Absicht hat's erfüllt,
340 Daß sich Herz und Auge weide
  An dem wohlgelungnen Bild.
  Schwingt den Hammer, schwingt,
  Bis der Mantel springt,
  Wenn die Glock soll auferstehen,
345 Muß die Form in Stücke gehen.

  Der Meister kann die Form zerbrechen
  Mit weiser Hand, zur rechten Zeit,
  Doch wehe, wenn in Flammenbächen
  Das glühnde Erz sich selbst befreit!
350 Blindwütend mit des Donners Krachen
  Zersprengt es das geborstne Haus,
  Und wie aus offnem Höllenrachen
  Speit es Verderben zündend aus;
  Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
355 Da kann sich kein Gebild gestalten,
  Wenn sich die Völker selbst befrein,
  Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.

  Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte
  Der Feuerzunder still gehäuft,
360 Das Volk, zerreißend seine Kette,
  Zur Eigenhilfe schrecklich greift!
  Da zerret an der Glocke Strängen
  Der Aufruhr, daß sie heulend schallt
  Und, nur geweiht zu Friedensklängen,
365 Die Losung anstimmt zur Gewalt.

  Freiheit und Gleichheit! hört man schallen,
  Der ruh'ge Bürger greift zur Wehr,
  Die Straßen füllen sich, die Hallen,
  Und Würgerbanden ziehn umher,
370 Das werden Weiber zu Hyänen
  Und treiben mit Entsetzen Scherz,
  Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
  Zerreißen sie des Feindes Herz.
  Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
375 Sich alle Bande frommer Scheu,
  Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
  Und alle Laster walten frei.
  Gefährlich ist's, den Leu zu wecken,
  Verderblich ist des Tigers Zahn,
380 Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
  Das ist der Mensch in seinem Wahn.
  Weh denen, die dem Ewigblinden
  Des Lichtes Himmelsfackel leihn!
  Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden
385 Und äschert Städt und Länder ein.

  Freude hat mir Gott gegeben!
  Sehet! Wie ein goldner Stern
  Aus der Hülse, blank und eben,
  Schält sich der metallne Kern.
390 Von dem Helm zum Kranz
  Spielt's wie Sonnenglanz,
  Auch des Wappens nette Schilder
  Loben den erfahrnen Bilder.

  Herein! herein!
395 Gesellen alle, schließt den Reihen,
  Daß wir die Glocke taufend weihen,
  Concordia soll ihr Name sein,
  Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine
  Versammle sich die liebende Gemeinde.

400 Und dies sei fortan ihr Beruf,
  Wozu der Meister sie erschuf!
  Hoch überm niedern Erdenleben
  Soll sie im blauen Himmelszelt
  Die Nachbarin des Donners schweben
405 Und grenzen an die Sternenwelt,
  Soll eine Stimme sein von oben,
  Wie der Gestirne helle Schar,
  Die ihren Schöpfer wandelnd loben
  Und führen das bekränzte Jahr.
410 Nur ewigen und ernsten Dingen
  Sei ihr metallner Mund geweiht,
  Und stündlich mit den schnellen Schwingen
  Berühr im Fluge sie die Zeit,
  Dem Schicksal leihe sie die Zunge,
415 Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
  Begleite sie mit ihrem Schwunge
  Des Lebens wechselvolles Spiel.
  Und wie der Klang im Ohr vergehet,
  Der mächtig tönend ihm erschallt,
420 So lehre sie, daß nichts bestehet,
  Daß alles Irdische verhallt.

  Jetzo mit der Kraft des Stranges
  Wiegt die Glock mir aus der Gruft,
  Daß sie in das Reich des Klanges
425 Steige, in die Himmelsluft.
  Zehet, ziehet, hebt!
  Sie bewegt sich, schwebt,
  Freude dieser Stadt bedeute,
  Friede sei ihr erst Geläute.

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