Friedrich Schiller Klage der Ceres (1787)

  Ist der holde Lenz erschienen?
  Hat die Erde sich verjüngt?
  Die besonnten Hügel grünen,
  Und des Eises Rinde springt.
5 Aus der Ströme blauem Spiegel
  Lacht der unbewölkte Zeus,
  Milder wehen Zephyrs Flögel,
  Augen treibt das junge Reis.
  In dem Haim erwachen Lieder.
10 Und die Oreade spricht:
  Deine Blumen kehren wieder,
  Deine Tochter kehret nicht.

  Ach, wie lang' ist's, daß ich walle
  Suchend durch der Erde Flur!
15 Titan, deiner Strahlen alle
  Sandt' ich nach der teuren Spur;
  Keiner hat mir noch verkündet
  Von dem lieben Angesicht,
  Und der Tag, der alles findet,
20 Die Verlorne fand er nicht,
  Hast du, Zeus, sie mir entrissen?
  Hat, von ihrem Reiz gerührt,
  Zu des Orkus schwarzen Flüssen
  Pluto sie hinabgeführt?

25 Wer wird nach dem düstern Strande
  Meines Grames Bote sein?
  Ewig stößt der Kahn vom Lande,
  Doch nur Schatten nimmt er ein.
  Jedem sel'gen Aug' verschlossen
30 Bleibt das nächtliche Gefild,
  Und so lang der Styx geflossen,
  Trug er kein lebendig Bild.
  Nieder führen tausend Steige,
  Keiner führt zum Tag zurück,
35 Ihre Tränen bringt kein Zeuge
  Vor der bangen Mutter Blick.

  Mütter, die aus Pyrrhas Stamme
  Sterbliche geboren sind,
  Dürfen durch des Grabes Flamme
40 Folgen dem geliebten Kind;
  Nur was Jovis Haus bewohnet,
  Nahet nicht dem dunkeln Strand,
  Nur die Seligen verschonet,
  Parzen, eure strenge Hand.
45 Stürzt mich in die Nacht der Nächte
  Aus des Himmels goldnem Saal!
  Ehret nicht der Göttin Rechte,
  Ach! sie sind der Mutter Qual!

  Wo sie mit dem finstern Gatten
50 Freudlos thronet, stieg' ich hin,
  Und träte mir den leisen Schatten
  Leise vor die Herrscherin.
  Ach, ihr Auge, feucht von Zähren,
  Sucht umsonst das goldne Licht,
55 Irret nach entfernten Sphären,
  Auf die Mutter fällt es nicht -
  Bis die Freude sie entdecket,
  Bis sich Brust mit Brust vereint,
  Und, zum Mitgefühl erwecket,
60 Selbst der rauhe Orkus weint.

  Eitler Wunsch! Verlorne Klagen!
  Ruhig in dem gleichen Gleis
  Rollt des Tages sichrer Wagen,
  Ewig steht der Schluß des Zeus.
65 Weg von jenen Finsternissen
  Wandt' er sein beglücktes Haupt;
  Einmal in die Nacht gerissen,
  Bleibt sie ewig mir geraubt,
  Bis des dunkeln Stromes Welle
70 Von Aurorens Farben glüht,
  Iris mitten durch die Hölle
  Ihren schönen Bogen zieht.

  Ist mir nichts von ihr geblieben?
  Nicht ein süß erinnernd Pfand,
75 Daß die Fernen sich noch lieben,
  Keine Spur der teuren Hand?
  Knüpfet sich kein Liebesknoten
  Zwischen Kind und Mutter an?
  Zwischen Lebenden und Toten
80 Ist kein Bündnis aufgetan?
  Nein, nicht ganz ist sie entflohen!
  Wir sind nicht ganz getrennt!
  Habens uns die ewig Hohen
  Eine Sprache doch vergönnt!

85 Wenn des Frühlings Kinder sterben,
  Wenn von Nordes kaltem Hauch
  Blatt und Blumen sich entfärben,
  Traurig steht der nackte Strauch,
  Nehm ich mir das höchste Leben
90 Aus Vertumnus' reichem Horn,
  Opfernd es dem Styx zu geben,
  Mir des Samens goldnes Korn,
  Trauernd senk' ich's in die Erde'
  Leg' es an des Kindes Herz,
95 Daß es eine Sprache werde
  Meine Liebe, meinem Schmerz.

  Führt der gleiche Tanz der Horen
  Freudig nun den Lenz zurück,
  Wird das Tote neu geboren
100 Von der Sonne Lebensblick;
  Keime, die dem Auge starben
  In der Erde kaltem Schoß,
  In das heitre Reich der Farben
  Ringen sie sich freudig los.
105 Wenn der Stamm zum Himmel eilet,
  Sucht die Wurzel scheu die Nacht,
  Gleich in ihre Pflege teilet
  Sich des Styx, des Athers Macht.

  Halb berühren sie der Toten,
110 Halb der Lebenden Gebiet -
  Ach, sie sind mir teure Boten,
  Süße Stimmen vom Cocyt!
  Hält er gleich sie selbst verschlossen
  In dem schauervollen Schlund,
115 Aus des Frühlings jungen Sproßen
  Redet mir der holde Mund;
  Daß auch fern vom goldnen Tage,
  Wo die Schatten traurig ziehn,
  Liebend noch der Busen schlage,
120 Zärtlich noch die Herzen glühn.

  O, so laßt euch froh begrüßen,
  Kinder der verjüngten Au,
  Euer Kelch soll überfließen
  Von des Nektars reinstem Tau.
125 Tauchen will ich euch in Strahlen,
  Mit der Iris schönstem Licht
  Will ich eure Blätter malen
  Gleich Aurorens Angesicht.
  In des Lenzes heiterm Glanze
130 Lese jede zarte Brust,
  In des Herbstes welkem Kranze
  Meinen Schmerz und meine Lust.

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