Friedrich von Hagedorn Der May (1757)

      Der Nachtigall reizende Lieder
  Ertönen und locken schon wieder
  Die fröhlichsten Stunden ins Jahr.
  Nun singet die steigende Lerche,
5 Und kläppert die reisenden Störche,
  Nun schwatzet der gaukelnde Staar.

      Wie munter sind Schäfer und Herde!
  Wie lieblich beblümt sich die Erde!
  Wie lebhaft ist itzo die Welt!
10 Die Tauben verdoppeln die Küsse,
  Der Entrich besuchet die Flüsse,
  Der lustige Sperling sein Feld.

      Wie gleichet doch Zephyr der Floren!
  Sie haben sich weislich erkohren,
15 Sie wählen den Wechsel zur Pflicht.
  Er flattert um Sprossen und Garben;
  Sie liebet unzählige Farben;
  Und Eifersucht trennet sie nicht.

      Nun heben sich Binsen und Keime,
20 Nun kleiden die Blätter die Bäume,
  Nun schwindet des Winters Gestalt;
  Nun rauschen lebendige Quellen
  Und tränken mit spielenden Wellen
  Die Triften, den Anger, den Wald.

25     Wie buhlerisch, wie so gelinde
  Erwärmen die westlichen Winde
  Das Ufer, den Hügel, die Gruft!
  Die jugendlich scherzende Liebe
  Empfindet die Reizung der Triebe,
30 Empfindet die schmeichelnde Luft.

      Nun stellt sich die Dorfschaft in Reihen,
  Nun rufen euch eure Schallmeyen,
  Ihr stampfenden Tänzer! hervor.
  Ihr springet auf grünender Wiese,
35 Der Bauerknecht hebet die Liese,
  In hurtiger Wendung, empor.

      Nicht fröhlicher, weidlicher, kühner
  Schwang vormals der braune Sabiner
  Mit männlicher Freyheit den Hut.
40 O reizet die Städte zum Neide,
  Ihr Dörfer voll hüpfender Freude!
  Was gleichet dem Landvolk an Muth?

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