Friedrich von Hardenberg Novalis Sehnsucht nach dem Tode (1800)

  Hinunter in der Erde Schoß,
  Weg aus des Lichtes Reichen,
  Der Schmerzen Wut und wilder Stoß
  Ist froher Abfahrt Zeichen.
5 Wir kommen in dem engen Kahn
  Geschwind am Himmelsufer an,

  Gelobt sei uns die ewge Nacht,
  Gelobt der ewge Schlummer.
  Wohl hat der Tag uns warm gemacht,
10 Und welk der lange Kummer.
  Die Lust der Fremde ging uns aus,
  Zum Vater wollen wir nach Haus.

  Was sollen wir auf dieser Welt
  Mit unsrer Lieb und Treue.
15 Das Alte wird hintangestellt,
  Was soll uns dann das Neue.
  O! einsam steht und tiefbetrübt,
  Wer heiß und fromm die Vorzeit liebt.

  Die Vorzeit wo die Sinne licht
20 In hohen Flammen brannten,
  Des Vaters Hand und Angesicht
  Die Menschen noch erkannten.
  Und hohen Sinns, einfältiglich
  Noch mancher seinem Urbild glich.

25 Die Vorzeit, wo noch blütenreich
  Uralte Stämme prangten,
  Und Kinder für das Himmelreich
  Nach Qual und Tod verlangten.
  Und wenn auch Lust und Leben sprach
30 Doch manches Herz für Liebe brach.

  Die Vorzeit, wo in Jugendglut
  Gott selbst sich kundgegeben
  Und frühem Tod in Liebesmut
  Geweiht sein süßes Leben.
35 Und Angst und Schmerz nicht von sich trieb,
  Damit er uns nur teuer blieb.

  Mit banger Sehnsucht sehn wir sie
  In dunkle Nacht gehüllet,
  In dieser Zeitlichkeit wird nie
40 Der heiße Durst gestillet.
  Wir müssen nach der Heimat gehn,
  Um diese heilge Zeit zu sehn.

  Was hält noch unsre Rückkehr auf,
  Die Liebsten ruhn schon lange.
45 Ihr Grab schließt unsern Lebenslauf,
  Nun wird uns weh und bange.
  Zu suchen haben wir nichts mehr –
  Das Herz ist satt – die Welt ist leer.

  Unendlich und geheimnisvoll
50 Durchströmt uns süßer Schauer –
  Mir deucht, aus tiefen Fernen scholl
  Ein Echo unsrer Trauer.
  Die Lieben sehnen sich wohl auch
  Und sandten uns der Sehnsucht Hauch.

55 Hinunter zu der süßen Braut,
  Zu Jesus, dem Geliebten –
  Getrost, die Abenddämmrung graut
  Den Liebenden, Betrübten.
  Ein Traum bricht unsre Banden los
60 Und senkt uns in des Vaters Schoß.

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