Gottfried August Bürger Das harte Mädchen (1783)

  Ich sah so frei und wonnereich
  Einst meine Tag' entschlüpfen,
  Wie Vögelchen, von Zweig auf Zweig,
  Beim Morgenliede hüpfen.

5 Fragt jeden Sommerwind, der hier
  Die Blumenau erfrischet:
  Ob je ein Seufzer sich von mir
  in seinen Hauch gemischet?

  Fragt nur den stillen Bach im Klee:
10 Ob er mich klagen hörte?
  Und ob von mir ein Tränchen je
  Die kleinen Wellen mehrte?

  Mein Auge schaute falkenhell,
  Durch meilenlange Räume.
15 Wie Gems und Eichhorn, sprang ich schnell
  Auf Felsen und auf Bäume.

  Sobald ich auf mein Lager sank,
  Entschlief ich ungestöret.
  Des Wächters Horn und Nachtgesang
20 Hat nie mein Ohr gehöret.

  Nun aber sind mir Lust und Scherz
  Und Mut und Kraft vergangen.
  Ein hartes Mädchen hält mein Herz,
  Mein armes Herz gefangen.

25 Nun hauch ich meine Seele schier
  Erseufzend in die Winde,
  Und girre kläglich hin nach ihr,
  Gleich einem kranken Kinde.

  Nun müssen Bach und Klee genung
30 Verliebter Zähren saugen,
  Und graue Nebeldämmerung
  Umwölkt die muntern Augen.

  Nun härm ich ganze Nächte lang,
  Auf schlummerlosem Lager,
35 Die leichten Glieder matt und krank,
  Die vollen Wangen hager.

  An meinem Leben nagt die Wut
  Grausamer Seelengeier;
  Nagt Eifersucht auf fremde Glut,
40 Nagt mein verschmähtes Feuer.

  Das harte Mädchen sieht den Schmerz,
  Und mehrt ihn dennoch stündlich.
  O Liebe, kennst du noch ein Herz,
  Wie dieses, unempfindlich? -

45 Ein einzig Lächeln voller Huld
  Würd allen Kummer lindern,
  Und ihre nicht erkannte Schuld
  Bald tilgen, oder mindern.

  Mich weckte wohl ihr süßer Ton
50 Noch aus dem Grabe wieder;
  Ja, wär ich auch im Himmel schon,
  Er lockte mich hernieder.

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