Gottfried Keller An das Herz – Fassung 2 (1846)

  Willst du nicht dich schließen,
  Herz, du offnes Haus!
  Worin Freund' und Feinde
  Gehen ein und aus?

5 Schau, wie sie verletzen
  Dir das Hausrecht stets!
  Fühllos auf und nieder,
  Polternd, lärmend geht's.

  Keiner putzt die Schuhe,
10 Keiner sieht sich um,
  Staubig brechen alle
  Dir in's Heiligtum;

  Trinken aus den goldnen
  Kelchen des Altars,
15 Schänden Müh' und Segen
  Dir des ganzen Jahr's;

  Werfen die Penaten
  Wild vom Herde dir,
  Pflanzen drauf mit Prahlen
20 Ihr entfärbt' Panier.

  Und wenn zu verwüsten
  Nichts sie finden mehr,
  Lassen sie im Scheiden,
  Dich, mein Herz, so leer!

25 Nein! und wenn nun alles
  Still und tot in dir,
  O, noch halt' dich offen,
  Offen für und für!

  Laß die Sonne scheinen
30 Heiß in dich herein,
  Stürme dich durchfahren
  Und den Wetterschein!

  Wenn durch deine Kammern
  So die Windsbraut zieht,
35 Laß dein Glöcklein stürmen,
  Schallen Lied um Lied!

  Denn noch kann's geschehen,
  Daß auf irrer Flucht
  Eine treue Seele
40 Bei dir Obdach sucht!

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