Gustav Schwab Das Gewitter (1828)

  Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
  In dumpfer Stube beisammen sind;
  Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt,
  Großmutter spinnet, Urahne gebückt
5 Sitzt hinter dem Ofen im Pfühl –
  Wie wehen die Lüfte so schwül!

  Das Kind spricht: »Morgen ist's Feiertag,
  Wie will ich spielen im grünen Hag,
  Wie will ich springen durch Thal und Höh'n,
10 Wie will ich pflücken viel Blumen schön;
  Dem Anger, dem bin ich hold!« –
  Hört ihr's, wie der Donner grollt?

  Die Mutter spricht: »Morgen ist's Feiertag,
  Da halten wir alle fröhlich Gelag,
15 Ich selber ich rüste mein Feierkleid;
  Das Leben es hat auch Lust nach Leid,
  Dann scheint die Sonne wie Gold!«
  Hört ihr's, wie der Donner grollt?

  Großmutter spricht: »Morgen ist's Feiertag,
20 Großmutter hat keinen Feiertag,
  Sie kochet das Mahl, die spinnet das Kleid,
  Das Leben ist Sorg' und viel Arbeit;
  Wohl dem, der that, was er sollt'!« –
  Hört ihr's, wie der Donner grollt?

25 Urahne spricht: »Morgen ist's Feiertag,
  Am liebsten morgen ich sterben mag:
  Ich kann nicht singen und scherzen mehr,
  Ich kann nicht sorgen und schaffen schwer,
  Was thu' ich noch auf der Welt?« –
30 Seht ihr, wie der Blitz dort fällt?

  Sie hören's nicht, sie sehen's nicht,
  Es flammet die Stube wie lauter Licht:
  Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
  Vom Strahl miteinander getroffen sind,
35 Vier Leben endet ein Schlag –
  Und morgen ist's Feiertag.

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