Heinrich Heine Abenddämmerung (1826)

  Am blassen Meeresstrande
  Saß ich gedankenbekümmert und einsam.
  Die Sonne neigte sich tiefer, und warf
  Glührote Streifen auf das Wasser,
5 Und die weißen, weiten Wellen,
  Von der Flut gedrängt,
  Schäumten und rauschten näher und näher –
  Ein seltsam Geräusch, ein Flüstern und Pfeifen,
  Ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sausen,
10 Dazwischen ein wiegenliedheimliches Singen –
  Mir war, als hört ich verschollne Sagen,
  Uralte, liebliche Märchen,
  Die ich einst, als Knabe,
  Von Nachbarskindern vernahm,
15 Wenn wir am Sommerabend,
  Auf den Treppensteinen der Haustür,
  Zum stillen Erzählen niederkauerten,
  Mit kleinen, horchenden Herzen
  Und neugierklugen Augen; –
20 Während die großen Mädchen,
  Neben duftenden Blumentöpfen,
  Gegenüber am Fenster saßen,
  Rosengesichter,
  Lächelnd und mondbeglänzt.

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