Heinrich Heine Minneklage (1820)

  Einsam klag ich meine Leiden,
  Im vertrauten Schoß der Nacht;
  Frohe Menschen muß ich meiden,
  Fliehen scheu, wo Freude lacht.

5 Einsam fließen meine Tränen,
  Fließen immer, fließen still;
  Doch des Herzens brennend Sehnen
  Keine Träne löschen will.

  Einst ein lachend muntrer Knabe
10 Spielt ich manches schöne Spiel,
  Freute mich der Lebensgabe,
  Wußte nie von Schmerzgefühl.

  Denn die Welt war nur ein Garten,
  Wo viel bunte Blumen blühn,
15 Wo mein Tagwerk Blumen-Warten,
  Rosen, Veilchen und Jasmin.

  Träumend süß auf grüner Aue
  Sah ich Bächlein fließen mild;
  Wenn ich jetzt in Bächlein schaue,
20 Zeigt sich mir ein bleiches Bild.

  Bin ein bleicher Mann geworden,
  Seit mein Auge sie gesehn;
  Heimlich weh ist mir geworden,
  Wundersam ist mir geschehn.

25 Tief im Herzen hegt ich lange
  Englein stiller Friedensruh;
  Diese flohen zitternd, bange,
  Ihrer Sternenheimat zu.

  Schwarze Nacht mein Aug umdüstert,
30 Schatten drohen feindlich grimm;
  Und im Busen heimlich flüstert
  Eine eigen fremde Stimm.

  Fremde Schmerzen, fremde Leiden
  Steigen auf mit wilder Wut,
35 Und in meinen Eingeweiden
  Zehret eine fremde Glut.

  Aber daß in meinem Herzen
  Flammen wühlen sonder Ruh,
  Daß ich sterbe hin vor Schmerzen –
40 Minne, sieh! das tatest du!

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