Heinrich Heine Still versteckt der Mond sich… (1819)

  Still versteckt der Mond sich draußen
  Hinterm grünen Tannenbaum,
  Und im Zimmer unsre Lampe
  Flackert matt und leuchtet kaum.

5 Aber meine blauen Sterne
  Strahlen auf in hellerm Licht,
  Und es glüht die Purpurrose,
  Und das liebe Mädchen spricht:

  Kleines Völkchen, Wichtelmännchen,
10 Stehlen unser Brot und Speck,
  Abends liegt es noch im Kasten,
  Und des Morgens ist es weg.

  Kleines Völkchen, unsre Sahne
  Nascht es von der Milch, und läßt
15 Unbedeckt die Schüssel stehen,
  Und die Katze säuft den Rest.

  Und die Katz ist eine Hexe,
  Denn sie schleicht, bei Nacht und Sturm,
  Drüben nach dem Geisterberge,
20 Nach dem altverfallnen Turm.

  Dort hat einst ein Schloß gestanden,
  Voller Lust und Waffenglanz;
  Blanke Ritter, Fraun und Knappen
  Schwangen sich im Fackeltanz.

25 Da verwünschte Schloß und Leute
  Eine böse Zauberin,
  Nur die Trümmer blieben stehen,
  Und die Eulen nisten drin.

  Doch die selge Muhme sagte:
30 Wenn man spricht das rechte Wort,
  Nächtlich zu der rechten Stunde,
  Drüben an dem rechten Ort:

  So verwandeln sich die Trümmer
  Wieder in ein helles Schloß,
35 Und es tanzen wieder lustig
  Ritter, Fraun und Knappentroß;

  Und wer jenes Wort gesprochen,
  Dem gehören Schloß und Leut,
  Pauken und Trompeten huldgen
40 Seiner jungen Herrlichkeit."

  Also blühen Märchenbilder
  Aus des Mundes Röselein,
  Und die Augen gießen drüber
  Ihren blauen Sternenschein.

45 Ihre goldnen Haare wickelt
  Mir die Kleine um die Händ,
  Gibt den Fingern hübsche Namen,
  Lacht und küßt, und schweigt am End.

  Und im stillen Zimmer alles
50 Blickt mich an so wohlvertraut;
  Tisch und Schrank, mir ist als hätt ich
  Sie schon früher mal geschaut.

  Freundlich ernsthaft schwatzt die Wanduhr,
  Und die Zither, hörbar kaum,
55 Fängt von selber an zu klingen,
  Und ich sitze wie im Traum.

  Jetzo ist die rechte Stunde,
  Und es ist der rechte Ort;
  Ja, ich glaube, von den Lippen
60 Gleitet mir das rechte Wort.

  Siehst du, Kindchen, wie schon dämmert
  Und erbebt die Mitternacht!
  Bach und Tannen brausen lauter,
  Und der alte Berg erwacht.

65 Zitherklang und Zwergenlieder
  Tönen aus des Berges Spalt,
  Und es sprießt, wie'n toller Frühling,
  Draus hervor ein Blumenwald; -

  Blumen, kühne Wunderblumen,
70 Blätter, breit und fabelhaft,
  Duftig bunt und hastig regsam,
  Wie gedrängt von Leidenschaft.

  Rosen, wild wie rote Flammen,
  Sprühn aus dem Gewühl hervor;
75 Liljen, wie kristallne Pfeiler,
  Schießen himmelhoch empor.

  Und die Sterne, groß wie Sonnen,
  Schaun herab mit Sehnsuchtglut;
  In der Liljen Riesenkelche
80 Strömet ihre Strahlenflut.

  Doch wir selber, süßes Kindchen,
  Sind verwandelt noch viel mehr;
  Fackelglanz und Gold und Seide
  Schimmern lustig um uns her.

85 Du, du wurdest zur Prinzessin,
  Diese Hütte ward zum Schloß,
  Und da jubeln und da tanzen
  Ritter, Fraun und Knappentroß.

  Aber ich, ich hab erworben
90 Dich und Alles, Schloß und Leut;
  Pauken und Trompeten huldgen
  Meiner jungen Herrlichkeit!

Neuen Kommentar hinzufügen

Die Technik der Kommentarfunktion "DISQUS" wird von einem externen Unternehmen, der Big Head Labs, Inc., San Francisco/USA., zur Verfügung gestellt, die Moderation der Kommentare liegt allein bei Lyrik123.de. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.