Heinrich von Kleist Germania an ihre Kinder A (1811)

  Die des Maines Regionen,
  Die der Elbe heitre Aun,
  Die der Donau Strand bewohnen,
  Die das Odertal bebaun,
5 Aus des Rheines Traubensitzen,
  Von dem duftgen Mittelmeer,
  Von der Alpen Riesensitzen,
  Von der Ost- und Nordsee her!

  Chor
10 Horchet durch die Nacht ihr Brüder!
  Welcher Donnerruf hernieder?
  Wachst du auf Germania?
  Ist der Tag der Rache da?

  Deutsche! süßer Kinder Reigen,
15 Die mit Schmerz und Lust geküßt,
  In den Schoß mir kletternd steigen,
  Die mein Mutterarm umschließt,
  Meines Busens Schutz und Schirmer,
  Unbesiegtes Marsenblut,
20 Enkel der Kohortenstürmer,
  Römerüberwinderblut!

  Chor
  Zu den Waffen, zu den Waffen!
  Was die Hände blindlings raffen,
25 Mit der Keule, mit dem Stab
  Eilt ins Tal der Schlacht hinab!

  Wenn auf grauen Alpenhöhen,
  Von des Frühlings heißen Küssen,
  Siedend auf die Gletscher gehen,
30 Ihrem Felsenbett entrissen,
  Katarakte stürmen nieder,
  Fels und Wald folgt ihrer Bahn,
  Das Gebirg hallt donnernd wider,
  Fluren sind ein Ozean.

35 Chor
  So verlaßt, voran der Kaiser,
  Eure Hütten, eure Häuser,
  Schäumt ein uferloses Meer,
  Über diese Franken her!

40 Der Gewerbsmann, der den Hügeln
  Mit der Fracht entgegen zeucht,
  Der Gelehrte, der auf Flügeln,
  Der Gestirne Raum erreicht,
  Schweißbedeckt das Volk der Schnitter,
45 Das die Fluren nieder mäht,
  Und von seinem Fels der Ritter,
  Der – sein Cherub – auf ihm steht.

  Chor
  Wer, in nie gefühlten Wunden
50 Dieser Franken Hohn empfunden,
  Brüder! jeder deutsche Mann
  Schließe unserm Reih’n sich an.

  Alle Triften, alle Städte,
  Färbt mit ihren Knochen weiß,
55 Welchen Rab und Fuchs verschmähte,
  Gebet ihn den Fischen preis!
  Dämmt den Rhein mit ihren Leichen,
  Laßt gestaucht durch ihr Gebein,
  Schäumend um die Pfalz ihn weichen,
60 Und ihn dann die Grenze sein.

  Chor
  Eine Treibjagd, wie wenn Schützen
  Auf der Spur dem Wolfe sitzen, –
  Schlagt ihn tot! – das Weltgericht
65 Fragt euch um die Ursach nicht.

  Nicht die Flur ists, die zertreten
  Unter ihren Rossen sinkt,
  Nicht der Mond, der in den Städten
  Aus den öden Fenstern blinkt;
70 Nicht das Weib, das mit Gewimmer
  Ihrem Todeskuß erliegt,
  Und zum Lohn beim Morgenschimmer
  Auf den Schutt der Vorstadt fliegt!

  Chor
75 Euern Schlachtraub laßt euch schenken,
  Wenige, die dessen denken:
  Höhrem, als der Erde Gut
  Schwillt die Sehne, flammt das Blut!

  Rettung von dem Joch der Knechte,
80 die aus Eisenerz geprägt,
  Eines Höllensohnes Rechte
  Über unsre Nacken legt;
  Schutz den Tempeln, und Verehrung;
  Unsrer Fürsten heilgem Blut
85 Unterwerfung! und Verheerung,
  Gift und Dolch der Afterbrut!
  Chor
  Frei auf deutschem Boden walten,
  Laßt uns nach dem Brauch der Alten!
90 Seines Segens selbst uns freun,
  Oder – unser Grab ihn sein!

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