Hugo von Hofmannsthal Erlebnis (1892)

  Mit silbergrauem Dufte war das Tal
  Der Dämmerung erfüllt, wie wenn der Mond
  Durch Wolken sickert. Doch es war nicht Nacht.
  Mit silbergrauem Duft des dunklen Tales
5 Verschwammen meine dämmernden Gedanken
  Und still versank ich in dem webenden
  Durchsicht’gen Meere und verließ das Leben.
  Wie wunderbare Blumen waren da
  Mit Kelchen dunkelglühend! Pflanzendickicht,
10 Durch das ein gelbrot Licht wie von Topasen
  In warmen Strömen drang und glomm. Das Ganze
  War angefüllt mit einem tiefen Schwellen
  Schwermütiger Musik. Und dieses wußt ich,
  Obgleich ich’s nicht begreife, doch ich wußt es:
15 Das ist der Tod. Der ist Musik geworden,
  Gewaltig sehnend, süß und dunkelglühend,
  Verwandt der tiefsten Schwermut.
                                               Aber seltsam!
  Ein namenloses Heimweh weinte lautlos
20 In meiner Seele nach dem Leben, weinte
  Wie einer weint, wenn er auf großem Seeschiff
  Mit gelben Riesensegeln gegen Abend
  Auf dunkelblauem Wasser an der Stadt,
  Der Vaterstadt, vorüberfährt. Da sieht er
25 Die Gassen, hört die Brunnen rauschen, riecht
  Den Duft der Fliederbüsche, sieht sich selber,
  Ein Kind, am Ufer stehn, mit Kindesaugen,
  Die ängstlich sind und weinen wollen, sieht
  Durchs offne Fenster Licht in seinem Zimmer –
30 Das große Seeschiff aber trägt ihn weiter
  Auf dunkelblauem Wasser lautlos gleitend
  Mit gelben fremdgeformten Riesensegeln.

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  • Luisa

    Abi 2011 ;)

  • http://www.spielerboard.de/allgemeine-diskussionen/339838-das-deutschduell.html#post8734424 das deutschduell.

    [...] das deutschduell. Hugo von Hofmannsthal – Erlebnis | Lyrik-Datenbank | Lyrik123 Analyse und Interpretation des Gedichts und Aufzeigen der Parallelen zur Romantik. War mein [...]

  • Julia

    Wunderschönes Gedicht… Hatte damals im Abi 15 Punkte auf die Interpretation! :)