Johann Christian Günther Die kurze Jugendlust (1714)

  1714

  Brüder, lasst uns lustig seyn,
  Weil der Frühling währet!
  Bricht der Jahre Winter ein,
5 Ist die Kraft verzehret.
  Tag und Stunde warten nicht;
  Wer nicht zeitig Rosen bricht,
  Dem ist kein Kranz bescheret,

  Unser junges Leben eilt
10 Mit verhängtem Zügel;
  Krankheit, Schmerz und Gram verweilt,
  Nur die Lust hat Flügel.
  Ob wir uns hier wiedersehn,
  Und, wie heut, ein Fest begehn,
15 Wer giebt uns Brief und Siegel?

  Wo sind diese, sagt es mir,
  Die vor wenig Jahren
  Jung und fröhlich, so wie wir,
  Und voll Hoffnung waren?
20 Ihre Leiber deckt der Sand,
  Sie sind, weit von hier verbannt,
  Zur Schattenwelt gefahren.

  Wer nach unsern Vätern forscht,
  Mag den Kirchhof fragen;
25 Ihr Gebein, das längst vermorscht,
  Wird die Lehr' ihm sagen:
  "Braucht das Leben! braucht es bald!
  Eh die Morgenglocke schallt,
  Kann eure Stunde schlagen."

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