Johann Friedrich Kind Der Stieglitz (1844)
Wann ich so auf mein Leben schau',
Erwägend, wie's doch sey gekommen,
Daß Waldesgrün und Himmelsblau
Und Morgenroth und Abendthau
5 Mir mehr, als Rang und Mammon, frommen,
Der Wachtelschlag die Brust erregt,
Der Blumen Schmelz mich süß bewegt,
Kurz Alles, was sich sonnt im Licht,
So eng befreundet zu mir spricht;
10 Da zeigt sich auch ein Vogelherd
Vor anderm meinem Herzen werth,
Zu dem ich oft, der Huth entronnen,
Mit Morgengrau'n den Lauf begonnen;
Da stellt sich mir ein Hüttchen dar,
15 Das ganz am End' des Dörfchens war,
Geschmückt an seinen armen Mauern
Mit Tannenreis und Vogelbauern;
Rothkehlchen fliegt, es schnarrt der Staar;
Der Rabe heißt mich schön willkommen,
20 Dem man der Zunge Band genommen.
Dort wohnt' ein alter Vogelfänger,
Ein Diogen in Wort und That,
Der tief im Wald die muntern Sänger
Zu reichbesetzter Tafel bat;
25 Doch heut' verzehrten sie die Beeren
Und ließen morgen sich verzehren.
Der Greis mit rauhem Rock und Bart
War etwas gröblich-finstrer Art
Und just kein Freund von Knabenfragen;
30 Ja, wenn noch vor geglücktem Fang
Ich oft schon jubelte und sprang,
Erfaßt' er unsanft mich beim Kragen.
Doch schnitzt' er Käfige daheim,
Dann sprach er wohl bei guter Stunde,
35 Den schwarzen Pfeifenstumpf im Munde,
Manch Waidsprüchlein, mach alten Reim,
Und thät mir Kriegs- und Mordgeschichten
Mit unverdroßner Müh' berichten.
Einst, da's zum Glück noch Mutterheller
40 In den oft leeren Taschen gab,
Kauft' ich dem alten Vogelsteller
Fast bettelnd einen Stieglitz ab.
»Da nimm ihn!« - sprach er - »'s ist nicht theuer,
Ich kriegte wohl noch ein'ge Dreier;
45 Sieh' ihn nur an! o welche Pracht!
Ja, die hat Gott im Spaß gemacht.«
»Was heißt das?« frug ich, und der Alte
Versetzte schmunzelnd: »Setz' Dich her;
So unser Einer lebt im Walde,
50 Und hört von Jägern manche Mähr;
So will ich Dir's denn wieder sagen,
Wie sich das Ding hat zugetragen.
Als Gott der Herr die Vöglein schuf,
Ich denk' am fünften Schöpfungstag,
55 Da standen sie so Stuf' zu Stuf',
Wie man sie jetzt noch sehen mag,
Der Dompfaff', Rothschwanz, Meis' und Fink,
G'nug, Adler bis zum Zitscherling,
Doch all' noch erdfahl, todt und stumm,
60 Um seinen Arbeitsstuhl herum,
Wie wohl ein Gypsmann sie zum Kauf
Jetzt stellt in seiner Werkstatt auf.
Da nahm der Schöpfer Scherb' und Topf
Und mengte bunte Farben ein,
65 Bemalte dem den Hals und Kropf,
Und jenem Brust und Flügelein;
Die Tauben malt' er weiß und blau,
Setzt' Augen in den Schweif dem Pfau;
Den Gimpel und den Goldfasan
70 Strich er fein rot und goldgelb an.
Bald waren all' die Töpfe leer,
Und nichts gab's für den Stieglitz mehr.
Drauf blies der Herr den Vögelein
Alsbald lebend'gen Odem ein,
75 Und sieh'! mit fein und grobem Sang
Purrt' Alles auf zum Bergeshang,
Wie wohl, wenn deine Hand es scheucht,
Das Spatzenvolk vom Futter fleucht.
Der Stieglitz nur blieb still zurück,
80 Erhob zum Herrn gar trüb' den Blick,
Reckt' auf das Hälslein und die Zeh'n,
In jede leere Scherb' zu sehn,
Und sprach: »Ja, die sind grün und blau,
Ich armes Thier ganz aschengrau;
85 Soviel, als noth zu meiner Zier,
W?r' wohl noch in den Töpfen hier;
Schau', Herr! hier ist noch Roth im Topf« -
Gleich gab ihm Gott ein'n Klecks auf'n Kopf -
»Hier gibt's noch etwas Weiß vom Schwan« -
90 Gleich strich's ihm Gott am Flügel an -
»Auch was Citrongelb ist noch hier« -
»»Du Bettler, nun so nimm es dir!«« -
»Da gibt's auch Ruß noch, schwarz, wie Nacht,
Womit du Raben hast gemacht.« -
95 »»Du närr'scher Kerl!«« spricht Gott und lacht -
»»Nun, wenn du mußt von Allem ha'n,
So kleb' ich dir auch das noch an!««
»So, Kleiner, hat der liebe Gott -
's ist wirklich wahr, kein Waidmannsspott -
100 Mit Farb' den Stieglitz aufgefrischt,
An ihm die Pinsel ausgewischt.
Drum denk' ich jeden Morgen dran,
Bin ich gleich nur ein armer Mann,
Bin zu gering selbst für den Spittel,
105 Sink' ich nur schlecht und recht in's Grab,« -
Hier zog er fromm sein Käppchen ab -
»So zieht mir Gott dort für den Kittel, -
Er hat's dem Stieglitz ja gethan -
Wohl auch das Kleid der Ehren an.«

Bibliographische Daten
Johann Friedrich Kind (1768-1843)
Der Stieglitz
Wann ich so auf mein Leben schau', …
1844
Spätromantik
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