Johann Gabriel Seidl Die Unterscheidung (1837)
Die Mutter hat mich jüngst gescholten
Und vor der Liebe streng gewarnt,
"Noch jede," sprach sie, "hat's entgolten;
Verloren ist, wen sie umgarnt."
5 D'rum ist es besser, wie ich meine,
Wenn keins von uns davon mehr spricht;
Ich bin zwar immer noch die Deine -
Doch lieben, Hans! - kann ich dich nicht!
Vor allem, Hans, vergiss mir nimmer,
10 Dass du nur mich zu lieben hast.
Mein Lächeln sei dir Lust nur immer,
Und jeder Andern Lächeln Last!
Ja, um der Mutter nachzugeben,
Will ich mich, treu der Doppelpflicht,
15 Dir zu gefallen stets bestreben,
Doch lieben, Hans! ... kann ich dich nicht.
Bei jedem Feste, das wir haben
Soll's meine größte Wonne sein,
Flicht deine Hand des Frühlings Gaben
20 Zum Schmucke mir in's Mieder ein.
Beginnt der Tanz, dann ist, wie billig,
Ein Tanz mit Gretchen deine Pflicht;
Selbst eifersüchtig werden will ich
Doch lieben, Hans! - kann ich dich nicht!
25 Und sinkt der Abend kühl hernieder
Und ruh'n wir dann recht mild bewegt,
Halt' immer mir die Hand an's Mieder
Und fühle, wie mein Herzchen schlägt!
Und willst du mich durch Küsse lehren,
30 Was stumm dein Auge zu mir spricht,
Selbst das will ich dir nicht verwehren
Doch lieben, Hans! - kann ich dich nicht!

Bibliographische Daten
Johann Gabriel Seidl (1804-1875)
Die Unterscheidung
Die Mutter hat mich jüngst gescholten …
1837
Spätromantik
Neuen Kommentar hinzufügen
Die Technik der Kommentarfunktion "DISQUS" wird von einem externen Unternehmen, der Big Head Labs, Inc., San Francisco/USA., zur Verfügung gestellt, die Moderation der Kommentare liegt allein bei Lyrik123.de. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.