Johann Gaudenz von Salis-Seewis Lied eines Landmanns in der Fremde – Fassung 2 (1786)

  Traute Heimat meiner Lieben,
  Sinn ich still an dich zurück,
  Wird mir wohl; und dennoch trüben
  Sehnsuchtstränen meinen Blick.

5 Stiller Weiler, grün umfangen
  Von beschirmendem Gesträuch;
  Kleine Hütte – voll Verlangen
  Denk ich immer noch an euch.

  An die Fenster, die mit Reben
10 Einst mein Vater selbst umzog;
  An den Birnbaum, der daneben
  Auf das niedre Dach sich bog;

  An die Stauden, wo ich Meisen
  Im Holunderkasten fing;
15 An des stillen Weihers Schleusen,
  Wo ich Sonntags fischen ging.

  Was mich dort als Kind erfreute,
  Kommt mir wieder leibhaft vor;
  Das bekannte Dorfgeläute
20 Widerhallt in meinem Ohr.

  Selbst des Nachts, in meinen Träumen,
  Schiff ich auf der Heimat See;
  Schüttle Äpfel von den Bäumen,
  Wäßre ihrer Wiesen Klee;

25 Lösch aus ihres Brunnens Röhren
  Meinen Durst am schwülen Tag,
  Pflück im Walde Heidelbeeren,
  Wo ich einst im Schatten lag.

  Wann erblick ich selbst die Linde
30 Auf den Kirchenplatz gepflanzt,
  Wo gekühlt im Abendwinde,
  Unsre frohe Jugend tanzt:

  Wann des Kirchturms Giebelspitze,
  Halb im Obstbaumwald versteckt,
35 Wo der Storch auf hohem Sitze
  Friedlich seine Jungen heckt?

  Traute Heimat meiner Väter,
  Wird bei deines Friedhofs Tür
  Nur einst, früher oder später,
40 Auch ein Ruheplätzchen mir!

Neuen Kommentar hinzufügen

Die Technik der Kommentarfunktion "DISQUS" wird von einem externen Unternehmen, der Big Head Labs, Inc., San Francisco/USA., zur Verfügung gestellt, die Moderation der Kommentare liegt allein bei Lyrik123.de. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.