Johann Heinrich Voß Trost am Grabe

  Trockne Deines Jammers Thränen,
  Heitre Deinen Blick;
  Denn es bringt kein banges Sehnen
  Ihn, der (Sie, die) starb, zurück.
5 Ach, die holde Stimm' und Rede,
  Und der Lieblichkeiten jede,
  Und sein (ihr) freundliches Gesicht
  Ruht im Grab', und kehret nicht.

  Gleich des Feldes Blumen schwindet
10 Alles Fleisch umher.
  Traurend sucht der Freund, und findet
  Seinen Freund nicht mehr.
  Vor dem welken Greis' am Stabe
  Sinkt der Jüngling und der Knabe,
15 Vor der Mutter sinkt ins Grab
  Oft die junge Braut hinab.

  Gleich des Feldes Blumen werde
  Alles Fleisch verstäubt!
  Nur der Erdenleib wird Erde;
20 Sein Bewohner bleibt!
  Ja, du lebst, Geliebter, (Geliebte) lebest
  Über Sternen, oder schwebest
  Mitleidsvoll um Deinen Freund,
  Der an Deinem Grabe weint!

25 Diese Kräfte, dieses Trachten
  Zur Vollkommenheit,
  Dieses Vorgefühl, dies Schmachten
  Nach Unsterblichkeit,
  Dieser Geist, der Welten denket,
30 Würde mit ins Grab gesenket?
  Und geschaffen hätte Gott
  Dieses alles nur zum Spott?

  Nein, nicht spottend, nicht vergebens
  Schufst Du, Gott, Dein Bild!
35 Lieb' und Weisheit hat des Lebens
  Geist in Staub gehüllt.
  Diese Hülle wird zertrümmert,
  Und die freye Seele schimmert
  Zu der höhern Geister Chor
40 Immer herrlicher empor.

  Auf! Von Moder und Verwesung
  Blick' hinauf, mein Geist,
  Wo im Friedensthal Genesung,
  Alles Jammers fleußt;
45 Wo nicht Krieg, Erdbeben, Fluten,
  Hunger, Pest und wilde Gluten,
  Wo nicht Trennung mehr noch Tod
  Liebenden Geliebten droht!

  Ach des Wonnetags, der wieder
50 Ewig Freund und Freund,
  Eltern, Kinder, Schwestern, Brüder,
  Mann und Weib vereint.
  Wann wir, weiser mit den Weisen,
  Unsers Vaters Liebe preisen,
55 Der aus Irrthum, Schmerz und Gram
  Uns in seine Ruhe nahm!

  Bald vielleicht, ach bald verschwunden
  Ist auch meine Zeit,
  Und die letzte meiner Stunden
60 Kommt vielleicht noch heut'!
  O laßt Gottes Weg' uns wandeln,
  Immer gut und redlich handeln,
  Daß wir, ruft der Vater nun,
  Fröhlich hingehn auszuruhn!

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