Johann Timotheus Hermes Morgenlied eines armen Mannes

  Weckst du mich zum neuen Jammer,
  Tag, den meine Sehnsucht rief,
  Als in meiner kleiner Kammer
  Weib und Säugling ruhig schlief?
5 Trefft nur mich, ihr neuen Sorgen,
  Schonet doch des Weibes Herz,
  Weck' sie spät, qualvoller Morgen,
  Ach ihr letzter Blick war Schmerz.

  Ruh nur sanft: die Qual des Lebens,
10 Säugling, trifft dich nie zu spät!
  Du wirst fühlen, wie vergebens
  Meine Wehmut für dich fleht.
  Bald fällt deine nackten Glieder
  Jedes Wetter grausam an.
15 Bald quält dich der Hunger wieder,
  Den mein Weib nicht stillen kann.

  Schlummre, Freundin meiner Jugend,
  Fühl die Not nicht, die mich schreckt,
  Sie ist da, weil Fleiß und Tugend
20 Mich nicht mehr wie vormals deckt:
  Ich kann Kind und Weib nicht retten.
  Gott der Gnaden, das kannst du.
  Mach sie glücklich, und zieh Ketten,
  Die mich drücken, fester zu.

25 Ich will still auf rauhen Wegen
  Des gewohnten Jammers gehn
  Und auch heut' um Brot und Segen
  Für mein Kind und Weib dich flehn.
  Sie erwachen - o dein Scherzen
30 Säugling, wie durchdringt es mich.
  Diese allertiefsten Schmerzen
  Wahrlich, Herr, sie jammern dich.

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