Johann Wolfgang von Goethe An Mignon (1804)

  Über Tal und Fluß getragen,
  Ziehet rein der Sonne Wagen.
  Ach, sie regt in ihrem Lauf,
  So wie deine, meine Schmerzen,
5 Tief im Herzen,
  Immer morgens wieder auf.

  Kaum will mir die Nacht noch frommen,
  Denn die Träume selber kommen
  Nun in trauriger Gestalt,
10 Und ich fühle dieser Schmerzen,
  Still im Herzen
  Heimlich bildende Gewalt.

  Schon seit manchen schönen Jahren
  Seh ich unten Schiffe fahren,
15 Jedes kommt an seinen Ort;
  Aber ach, die steten Schmerzen,
  Fest im Herzen,
  Schwimmen nicht im Strome fort.

  Schön in Kleidern muß ich kommen,
20 Aus dem Schrank sind sie genommen,
  Weil es heute Festtag ist;
  Niemand ahnet, daß von Schmerzen
  Herz im Herzen
  Grimmig mir zerrissen ist.

25 Heimlich muß ich immer weinen,
  Aber freundlich kann ich scheinen
  Und sogar gesund und rot;
  Wären tödlich diese Schmerzen
  Meinem Herzen,
30 Ach, schon lange wär ich tot.

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