Johann Wolfgang von Goethe An Schwager Kronos – Fassung 2 (1774)

  Spude dich, Kronos!
  Fort den rasselnden Trott!
  Bergab gleitet der Weg;
  Ekles Schwindeln zögert
5 Mir vor die Stirne dein Zaudern.
  Frisch, holpert es gleich,
  Über Stock und Steine den Trott
  Rasch in's Leben hinein!

  Nun schon wieder
10 Den eratmenden Schritt
  Mühsam Berg hinauf!
  Auf denn, nicht träge denn,
  Strebend und hoffend hinan!

  Weit, hoch, herrlich der Blick
15 Rings in's Leben hinein,
  Vom Gebirg' zum Gebirg'
  Schwebet der ewige Geist,
  Ewigen Lebens ahndevoll.

  Seitwärts des Überdachs Schatten
20 Zieht dich an,
  Und der Frischung verheißende Blick
  Auf der Schwelle des Mädchens da.
  Labe dich - Mir auch, Mädchen,
  Diesen schäumenden Trank,
25 Diesen frischen Gesundheitsblick!

  Ab denn, rascher hinab!
  Sieh, die Sonne sinkt!
  Eh' sie sinkt, eh' mich Greisen
  Ergreift, im Moore Nebelduft,
30 Entzahnte Kiefer schnattern
  Und das schlotternde Gebein.

  Trunknen vom letzten Strahl
  Reiß mich, ein Feuermeer
  Mir im schäumenden Aug',
35 Mich geblendeten Taumelnden
  In der Hölle nächtliches Tor.

  Töne, Schwager, in's Horn,
  Raßle den schallenden Trab,
  Daß der Orcus vernehme: wir kommen,
40 Daß gleich an der Türe
  Der Wirt uns freundlich empfange.

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