Johann Wolfgang von Goethe Dauer im Wechsel (1806)

  Hielte diesen frühen Segen
  Ach nur Eine Stunde fest!
  Aber vollen Blütenregen
  Schüttelt schon der laue West.
5 Soll ich mich des Grünen freuen?
  Dem ich Schatten erst verdankt;
  Bald wird Sturm auch das zerstreuen,
  Wenn es falb im Herbst geschwankt.

  Willst du nach den Früchten greifen;
10 Eilig nimm dein Teil davon!
  Diese fangen an zu reifen
  Und die andern keimen schon;
  Gleich, mit jedem Regengusse,
  Ändert sich dein holdes Tal,
15 Ach! und in demselben Flusse
  Schwimmst du nicht zum zweitenmal.

  Du nun selbst! Was felsenfeste
  Sich vor dir hervorgetan,
  Mauern siehst du, siehst Paläste
20 Stets mit andern Augen an.
  Weggeschwunden ist die Lippe,
  Die im Kusse sonst genas,
  Jener Fuß, der an der Klippe
  Sich, mit Gemsenfreche, maß.

25 Jene Hand, die gern und milde
  Sich bewegte wohlzutun,
  Das gegliederte Gebilde,
  Alles ist ein andres nun.
  Und was sich, an jener Stelle,
30 Nun mit deinem Namen nennt,
  Kam herbei, wie eine Welle,
  Und so eilt's zum Element.

  Laß den Anfang mit dem Ende
  Sich in Eins zusammenziehn!
35 Schneller als die Gegenstände
  Selber dich vorüberfliehn.
  Danke, daß die Gunst der Musen
  Unvergängliches verheißt,
  Den Gehalt in deinem Busen
40 Und die Form in deinem Geist.

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