Johann Wolfgang von Goethe Der Zauberlehrling (1797)

  Hat der alte Hexenmeister
  Sich doch einmal wegbegeben!
  Und nun sollen seine Geister
  Auch nach meinem Willen leben.
5 Seine Wort’ und Werke
  Merkt’ ich, und den Brauch,
  Und mit Geistesstärke
  Tu’ ich Wunder auch.

  Walle! walle!
10 Manche Strecke,
  Daß, zum Zwecke,
  Wasser fließe
  Und mit reichem, vollem Schwalle
  Zu dem Bade sich ergieße.

15 Und nun komm, du alter Besen!
  Nimm die schlechten Lumpenhüllen.
  Bist schon lange Knecht gewesen;
  Nun erfülle meinen Willen!
  Auf zwei Beinen stehe,
20 Oben sei ein Kopf,
  Eile nun, und gehe
  Mit dem Wassertopf!

  Walle! walle!
  Manche Strecke,
25 Daß, zum Zwecke,
  Wasser fließe
  Und, mit reichem, vollem Schwalle,
  Zu dem Bade sich ergieße.

  Seht, er läuft zum Ufer nieder;
30 Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
  Und mit Blitzesschnelle wieder
  Ist er hier mit raschem Gusse.
  Schon zum zweitenmale!
  Wie das Becken schwillt!
35 Wie sich jede Schale
  Voll mit Wasser füllt!

  Stehe! stehe!
  Denn wir haben
  Deiner Gaben
40 Vollgemessen! –
  Ach, ich merk’ es! Wehe! wehe!
  Hab’ ich doch das Wort vergessen!

  Ach! das Wort, worauf am Ende
  Er das wird, was er gewesen!
45 Ach, er läuft und bringt behende!
  Wärst du doch der alte Besen!
  Immer neue Güsse
  Bringt er schnell herein,
  Ach! und hundert Flüsse
50 Stürzen auf mich ein.

  Nein, nicht länger
  Kann ich’s lassen;
  Will ihn fassen.
  Das ist Tücke!
55 Ach! nun wird mir immer bänger!
  Welche Miene! welche Blicke!

  O, du Ausgeburt der Hölle!
  Soll das ganze Haus ersaufen?
  Seh’ ich über jede Schwelle
60 Doch schon Wasserströme laufen.
  Ein verruchter Besen,
  Der nicht hören will!
  Stock, der du gewesen,
  Steh doch wieder still!

65 Willst’s am Ende
  Gar nicht lassen?
  Will dich fassen,
  Will dich halten,
  Und das alte Holz behende
70 Mit dem scharfen Beile spalten!

  Seht, da kommt er schleppend wieder!
  Wie ich mich nur auf dich werfe,
  Gleich, o Kobold, liegst du nieder;
  Krachend trifft die glatte Schärfe.
75 Wahrlich! brav getroffen!
  Seht, er ist entzwei!
  Und nun kann ich hoffen,
  Und ich atme frei!

  Wehe! wehe!
80 Beide Teile
  Stehn in Eile
  Schon als Knechte
  Völlig fertig in die Höhe!
  Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!

85 Und sie laufen! Naß und nässer
  Wird’s im Saal und auf den Stufen.
  Welch entsetzliches Gewässer!
  Herr und Meister! hör’ mich rufen! –
  Ach, da kommt der Meister!
90 Herr, die Not ist groß!
  Die ich rief, die Geister,
  Werd’ ich nun nicht los.

  „In die Ecke,
  Besen! Besen!
95 Seid’s gewesen!
  Denn als Geister
  Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
  Erst hervor der alte Meister.“

Neuen Kommentar hinzufügen

Die Technik der Kommentarfunktion "DISQUS" wird von einem externen Unternehmen, der Big Head Labs, Inc., San Francisco/USA., zur Verfügung gestellt, die Moderation der Kommentare liegt allein bei Lyrik123.de. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.