Johann Wolfgang von Goethe Erlkönig (1782)
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.
5 Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? –
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron’ und Schweif? –
Mein Sohn; es ist ein Nebelstreif. –
„Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
10 Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir;
Manch’ bunte Blumen sind an dem Strand;
Meine Mutter hat manch’ gülden Gewand.“
Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? –
15 Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind. –
„Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn,
20 Und wiegen und tanzen und singen dich ein.“
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? –
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh’ es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau. –
25 „Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt,
Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt.“ –
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! –
Dem Vater grauset’s, er reitet geschwind,
30 Er hält in den Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.

Bibliographische Daten
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
Erlkönig
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? …
1782
Sturm und Drang
- Nähe des Geliebten
- Der Abschied
- Mignon III ("So laßt mich scheinen, bis ich werde ...")
- Mignon II ("Nur, wer die Sehnsucht kennt …")
- Mignon I ("Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen …")
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