Johann Wolfgang von Goethe Prometheus (1772-1774)

  Bedecke deinen Himmel, Zeus,
  Mit Wolkendunst
  Und übe, dem Knaben gleich,
  Der Disteln köpft,
5 An Eichen dich und Bergeshöh'n;
  Mußt mir meine Erde
  Doch lassen stehn
  Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
  Und meines Herd,
10 Um dessen Glut
  Du mich beneidest.

  Ich kenne nichts Ärmeres
  Unter der Sonn', als euch, Götter!
  Ihr nähret kümmerlich
15 Von Opfersteuern
  Und Gebetshauch
  Eure Majestät
  Und darbtet, wären
  Nicht Kinder und Bettler
20 Hoffnungsvolle Toren.

  Da ich ein Kind war
  Nicht wußte, wo aus noch ein,
  Kehrt' ich mein verirrtes Auge
  Zur Sonne, als wenn drüber wär'
25 Ein Ohr, zu hören meine Klage,
  Ein Herz wie meins,
  Sich des Bedrängten zu erbarmen.

  Wer half mir
  Wider der Titanen Übermut?
30 Wer rettete vom Tode mich,
  Von Sklaverei?
  Hast du nicht alles selbst vollendet
  Heilig glühend Herz?
  Und glühtest jung und gut,
35 Betrogen, Rettungsdank
  Dem Schlafenden da droben?

  Ich dich ehren? Wofür?
  Hast du die Schmerzen gelindert
  Je des Beladenen?
40 Hast du die Tränen gestillet
  Je des Geängsteten?
  Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
  Die allmächtige Zeit
  Und das ewige Schicksal,
45 Meine Herrn und deine?

  Wähntest du etwa,
  Ich sollte das Leben hassen,
  In Wüsten fliehen,
  Weil nicht alle
50 Blütenträume reiften?

  Hier sitz' ich, forme Menschen
  Nach meinem Bilde.
  Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
  Zu leiden, zu weinen,
55 Zu genießen und zu freuen sich
  Und dein nicht zu achten,
  Wie ich!

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