Joseph Christian Freiherr von Zedlitz Die nächtliche Heerschau (1832)

  Nachts um die zwölfte Stunde
  Verläßt der Tambour sein Grab,
  Macht mit der Trommel die Runde,
  Geht emsig auf und ab.

5 Mit seinen entfleischten Armen
  Rührt er die Schlegel zugleich,
  Schlägt manchen guten Wirbel,
  Reveill' und Zapfenstreich.

  Die Trommel klinget seltsam,
10 Hat gar keinen starken Ton;
  Die alten, todten Soldaten
  Erwachen im Grab davon.

  Und die im tiefen Norden
  Erstarrt in Schnee und Eis,
15 Und die in Welschland liegen,
  Wo ihnen die Erde zu heiß;

  Und die der Nilschlamm decket
  Und der arabische Sand,
  Sie steigen aus ihren Gräbern,
20 Sie nehmen's Gewehr zur Hand.

  Und um die zwölfte Stunde
  Verläßt der Trompeter sein Grab
  Und schmettert in die Trompete
  Und reitet auf und ab.

25 Da kommen auf luftigen Pferden
  Die todten Reiter herbey,
  Die blutigen alten Schwadronen
  In Waffen mancherley.

  Es grinsen die weißen Schädel
30 Wohl unter dem Helm hervor,
  Es halten die Knochenhände
  Die langen Schwerter empor.

  Und um die zwölfte Stunde
  Verläßt der Feldherr sein Grab,
35 Kommt langsam hergeritten,
  Umgeben von seinem Stab.

  Er trägt ein kleines Hütchen,
  Er trägt ein einfach Kleid,
  Und einen kleinen Degen
40 Trägt er an seiner Seit'

  Der Mond mit gelbem Lichte
  Erhellt den weiten Plan:
  Der Mann im kleinen Hütchen
  Sieht sich die Truppen an.

45 Die Reihen präsentiren
  Und schultern das Gewehr,
  Dann zieht mit klingendem Spiele
  Vorüber das ganze Heer.

  Die Marschäll' und Generale
50 Schließen um ihn einen Kreis:
  Der Feldherr sagt dem Nächsten
  In's Ohr ein Wörtlein leis'.

  Das Wort geht in die Runde,
  Klingt wieder fern und nah':
55 »Frankreich« ist die Parole,
  Die Losung: »Sankt Helena!« –

  Dieß ist die große Parade
  Im elyseischen Feld,
  Die um die zwölfte Stunde
60 Der todte Cäsar hält.

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