Justinus Christian Andreas Kerner Der Geiger zu Gmünd (1817)

  Einst ein Kirchlein sondergleichen,
  Noch ein Stein von ihm steht da,
  Baute Gmünd der sangesreichen
  Heiligen Cäcilia.

5 Lilien von Silber glänzten
  Ob der Heil'gen mondenklar,
  Hell wie Morgenrot bekränzten
  Goldne Rosen den Altar.

  Schuh' aus reinem Gold geschlagen
10 Und von Silber hell ein Kleid
  Hat die Heilige getragen:
  Denn da war's noch gute Zeit,

  Zeit, wo überm fernen Meere,
  Nicht nur in der Heimat Land,
15 Man der Gmündschen Künstler Ehre
  Hell in Gold und Silber fand.

  Und der fremden Pilger wallten
  Zu Cäcilias Kirchlein viel;
  Ungesehn woher, erschallten
20 Drin Gesang und Orgelspiel.

  Einst ein Geiger kam gegangen,
  Ach, den drückte große Not,
  Matte Beine, bleiche Wangen,
  Und im Sack kein Geld, kein Brot.

25 Vor dem Bild hat er gesungen
  Und gespielet all sein Leid,
  Hat der Heil'gen Herz durchdrungen:
  Horch! melodisch rauscht ihr Kleid!

  Lächelnd bückt das Bild sich nieder
30 Aus der lebenlosen Ruh',
  Wirft dem armen Sohn der Lieder
  Hin den rechten goldnen Schuh.

  Nach des nächsten Goldschmieds Hause
  Eilt er, ganz vom Glück berauscht,
35 Singt und träumt vom besten Schmause,
  Wenn der Schuh um Geld vertauscht.

  Aber kaum den Schuh ersehen,
  Führt der Goldschmied rauhen Ton,
  Und zum Richter wird mit Schmähen
40 Wild geschleppt des Liedes Sohn.

  Bald ist der Prozeß geschlichtet,
  Allen ist es offenbar,
  Daß das Wunder nur erdichtet,
  Er der frechste Räuber war.

45 Weh! du armer Sohn der Lieder
  Sangest wohl den letzten Sang!
  An dem Galgen auf und nieder
  Sollst, ein Vogel, fliegen bang.

  Hell ein Glöcklein hört man schallen,
50 Und man sieht den schwarzen Zug
  Mit dir zu der Stätte wallen,
  Wo beginnen soll dein Flug.

  Bußgesänge hört man singen
  Nonnen und der Mönche Chor,
55 Aber hell auch hört man dringen
  Geigentöne draus hervor.

  Seine Geige mitzuführen,
  War des Geigers letzte Bitt'.
  »Wo so viele musizieren,
60 Musizier' ich Geiger mit!«

  An Cäcilias Kapelle
  Jetzt der Zug vorüberkam,
  Nach des offnen Kirchleins Schwelle
  Geigt er recht in tiefem Gram.

65 Und wer kurz ihn noch gehasset,
  Seufzt: »Das arme Geigerlein!«
  »Eins noch bitt' ich«, singt er, »lasset
  Mich zur Heil'gen noch hinein!«

  Man gewährt ihm; vor dem Bilde
70 Geigt er abermals sein Leid
  Und er rührt die Himmlischmilde:
  Horch! melodisch rauscht ihr Kleid!

  Lächelnd bückt das Bild sich nieder
  Aus der lebenlosen Ruh',
75 Wirft dem armen Sohn der Lieder
  Hin den zweiten goldnen Schuh.

  Voll Erstaunen steht die Menge,
  Und es sieht nun jeder Christ,
  Wie der Mann der Volksgesänge
80 Selbst der Heil'gen teuer ist.

  Schön geschmückt mit Bändern, Kränzen,
  Wohl gestärkt mit Geld und Wein,
  Führen sie zu Sang und Tänzen
  In das Rathaus ihn hinein.

85 Alle Unbill wird vergessen,
  Schön zum Fest erhellt das Haus,
  Und der Geiger ist gesessen
  Obenan beim lust'gen Schmaus.

  Aber als sie voll vom Weine,
90 Nimmt er seine Schuh zur Hand,
  Wandert so im Mondenscheine
  Lustig in ein andres Land.

  Seitdem wird zu Gmünd empfangen
  Liebreich jedes Geigerlein,
95 Kommt es noch so arm gegangen –
  Und es muß getanzet sein.

  Drum auch hört man geigen, singen,
  Tanzen dort ohn' Unterlaß,
  Und wem alle Saiten springen,
100 Klingt noch mit dem leeren Glas.

  Und wenn bald ringsum verhallen
  Becherklingeln, Tanz und Sang,
  Wird zu Gmünd noch immer schallen
  Selbst aus Trümmern lust'ger Klang.

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