Karl Leberecht Immermann Der Student von Prag (1831)
Was klingt daher für Tosen? Welch lärmend Festgelag?
Des Vaters Gut verprasset der wilde Student von Prag.
Er sitzt und singet Lieder, davor dem Menschen graust,
Die Dirne auf dem Schooße, den Becher in der Faust.
5 Der alte Diener schleichet herzu und flüstert scheu:
Wollt ihr nicht enden, Junker? 's ist Zwölfe meiner Treu! –
»Schweig still, Du alter Rabe, und laß Dein heis'res Schrein!
So lang der Wein hier helle, will ich noch lustig sein.«
Auf hebt er seinen Becher; ein großer Wurm liegt drin.
10 Gott giebt ein Zeichen, Junker, o wendet euren Sinn! –
»Schweig still, Du alter Rabe, und krächze Andern was!
So lang die Dirne küsset, hab' ich noch guten Spaß.«
Er will die Dirne küssen, die auf vom Schooß ihm fährt;
Sie schreit, greift nach dem Herzen und sinket todt zur Erd'.
15 Der alte Diener stürzet vor ihm auf beide Knie:
Gott giebt ein Zeichen, Junker, o sieh das Zeichen, sieh! -
»Zur Hölle, Du Unglücksvogel! Für all mein rothes Gold
Kauf ich mir Wein die Fülle, ist jede Maid mir hold.
So lang der alte Thor noch, mein Vater, lebt und giebt,
20 Ich schwör's beim Höllenpfuhle, wird auch gezecht, geliebt!«
Der Diener trägt entsetzet die Leiche aus der Stub';
Aufs Lager wirft erschöpfet sich hin der wilde Bub.
Die Kerze flackert trübe in Streifen blauen Scheins;
Die Eulen heulen draußen - die Glocke schlägt halb Eins.
25 Da rauschet auf die Thüre, da weht ein Grabeshauch:
Ein Schatten weht zum Lager gleich einem bleichen Rauch;
Er blickt mit Jammermienen auf den verlornen Sohn.
Der Student knirscht frech im Traume, er lacht mit wüstem Hohn.
Der Schatten hebet warnend empor die Geisterhand.
30 Rasch greift der Student im Traume nach dem Tuche an der Wand;
Er schlägt mit seinem Tuche nach seines Vaters Bild.
Da zittert und zerrinnet der Schemen irr und wild.
Der Student fährt aus dem Schlafe mit verstörtem Angesicht;
Ins Fenster blickt der Morgen mit aschenfahlem Licht.
35 Der Diener bringet weinend einen Brief mit schwarzem Rand:
Dem Studenten sträubt die Locke, er hat die Schrift gekannt.
»Dich grüßt die Mutter, welche zur Wittwe Du gemacht.
Dein Vater ist gestorben in dieser letzten Nacht.
Dein Vater hat zu Tode um Dich gegrämet sich
40 Und hat nicht sterben können aus Noth und Sorg' um Dich.
»Er lag im Todeskampfe still einmal eine Weil';
Ich hofft', er sei gegangen zu seinem ew'gen Heil.
Da schrie er auf: Der Bube schlägt mich mit seinem Tuch!
Und gab Dir im Verscheiden, mein Sohn, des Vaters Fluch.«
45 Der Student von Prag läßt fallen den Brief und wanket fort.
Er setzet stumm sich nieder an einem düstern Ort
Und schneidet mit der Schere ab seiner Haare Schopf
Und nimmt in beide Hände den kahl geschornen Kopf.
Was klingt denn nun für Singen aus des Studenten Haus? –
50 Es sind acht Leichenträger, es ist ein Leichenschmaus.
Sie singen vom Gesangbuch und trinken dazu Wein;
Der Student trinkt nicht mit ihnen und stimmt ins Lied nicht ein.

Bibliographische Daten
Karl Leberecht Immermann (1796-1840)
Der Student von Prag
Was klingt daher für Tosen? Welch lärmend Festgelag? …
1831
Spätromantik
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