Ludwig Christoph Heinrich Hölty Das Landleben (1777)

  Flumina amem silvasque inglorius

  Wunderseliger Mann, welcher der Stadt entfloh!
  Jedes Säuseln des Baums, jedes Geräusch des Bachs,
     Jeder blinkende Kiesel,
5      Predigt Tugend und Weisheit ihm!

  Reiner wehet die Luft, silberner wallt der Mond,
  Bunter lächelt die Au, schattender grünt der Hayn,
     Süßer duften die Blüthen,
       Heller tanzet der Wiesenquell!

10 Seine Nachtigall tönt Schlummer herab auf ihn,
  Seine Nachtigall weckt flötend ihn wieder auf,
     Wenn das liebliche Frühroth
       Durch die Bäum' auf sein Bette scheint.

  Aufgelächelt vom May herzt er die Gattin wach
15 Küßt die bebende Brust, welcher der Morgentraum
     Hebt, die Sonne beschimmert;
        Küßt den Schlummer vom Aug ihr weg.

  Jeder blühende Baum, jeglicher Frühlingsbusch
  Nicket Blüthen herab, wenn er, an ihrer Hand,
20    Seinen Garten durchwandelt,
       Jeder hüpfende Vogel singt.

  Wehmuth führet ihn oft, wann sich der Abend neigt,
  Zu den Gräbern des Dorfs, zu den beflitterten
     Todtenkränzen der Hügel,
25      Die das wehende Gras umsaust;

  Zu dem Fliedergesträuch, oder zum Leichenstein,
  Wo ein biblischer Spruch freudig zu sterben lehrt,
     Wo der Tod mit der Hippe,
       Und ein Engel mit Kränzen steht.

30 Wie ein fröhlicher Tag fleußt ihm das Leben hin!
  Seine Nachtigall weint, wann er gestorben ist,
     Ihm ein schmelzendes Grablied,
        Sammelt Blätter ihm auf das Grab.

  Wunderseliger Mann, welcher der Stadt entfloh!
35 Engel segneten ihn, als er gebohren ward,
     Streuten Blumen des Himmels
       Auf die Wiege des Knaben aus.

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