Ludwig Christoph Heinrich Hölty Lebenspflichten (1776)

  1776

  Rosen auf den Weg gestreut,
      Und des Harms vergeßen!
  Eine kleine Spanne Zeit
5     Ward uns zugemeßen.

  Heute hüpft, im Frühlingstanz,
      Noch der frohe Knabe;
  Morgen weht der Todtenkranz
      Schon auf seinem Grabe.

10 Wonne führt die junge Braut
      Heute zum Altare;
  Eh die Abendwolke thaut,
      Ruht sie auf der Bahre.

  Ungewißer, kurzer Daur
15     Ist dieß Erdeleben;
  Und zur Freude, nicht zur Traur,
      Uns von Gott gegeben.

  Gebet Harm und Grillenfang,
      Gebet ihn den Winden;
20 Ruht, bey frohem Becherklang,
      Unter grünen Linden.

  Laßet keine Nachtigall
      Unbehorcht verstummen;
  Keine Bien', im Frühlingsthal,
25     Unbelauschet summen.

  Fühlt, so lang es Gott erlaubt,
      Kuß und süße Trauben,
  Bis der Tod, der alles raubt,
      Kommt, sie euch zu rauben.

30 Unser schlummerndes Gebein,
      In die Gruft gesäet,
  Fühlet nicht den Rosenhayn,
      Der das Grab umwehet.

  Fühlet nicht den Wonneklang
35     Angestoßner Becher;
  Nicht den frohen Rundgesang
      Weingelehrter Zecher.

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