Ludwig Gotthard Kosegarten Ahndung (1818)

  O Abendsonn', o Holde,
  Woher so bleich und blaß?
  Du malst mit mattem Golde
  Der Flur verfalbend Gras.

5 Die gelben Stoppelfelder,
  Die halb entlaubten Wälder,
  Das kranke Abendrot,
  Verkünden Grab und Tod.

  Du weckst mir leise Trauer,
10 O herbstliche Natur.
  Es wehen Gräberschauer
  Auf der erstorbnen Flur.

  Die öden Stoppelräume,
  Die blätterlosen Bäume,
15 Das Kraut, das Gras, das Moos,
  Verkünden mir mein Loos.

  Das Loos der Erdenbürger
  Ist: blühen und verblühn.
  Den grimmen Menschenwürger,
20 Wer hemmt, wer bändigt ihn!
  Wir altern, wir erkranken,
  Wir taumeln, schwindeln, schwanken
  Und sinken, rettungslos,
  O Grab in deinen Schoos.

25 Wer weiß, wer weiß, Elise,
  Wie bald dein Starker fällt!
  Wer weiß, wie bald der Riese
  Auf ihn den Bogen schnellt!

  Dann hat er ausgelitten,
30 Auf immer ausgestritten,
  Auf immer ausgeschwärmt,
  Und satt sich, satt gehärmt.

  Wer weiß, wer weiß, o Rose,
  Wie bald der Sturm dich pflückt,
35 Wie bald der Schonungslose
  Dich, schlanke Lilie, knickt!

  Dann rollen deine Blätter
  Verwelkt umher im Wetter.
  Den Halm zerstört der Wurm;
40 Den Staub verweht der Sturm.

  Vertraute meiner Schmerzen,
  Genossin meiner Lust,
  Noch schlagen unsre Herzen,
  Noch schwillt uns Brust an Brust.

45 O, laß uns fest verschlungen,
  Umwunden und umrungen,
  Auf schroffer Felsen Bahn
  Dem Ziele ruhig nahn,

  Es glänzt, es glänzt den Treuen
50 Ein palmumpflanztes Ziel.
  Erquickung weht im Freien;
  Die Palme rauscht so kühl!

  Sie sinken, festverschlungen,
  Umwunden und umrungen,
55 In deinen Schoos hinab,
  Gesellschaftliches Grab!

Neuen Kommentar hinzufügen

Die Technik der Kommentarfunktion "DISQUS" wird von einem externen Unternehmen, der Big Head Labs, Inc., San Francisco/USA., zur Verfügung gestellt, die Moderation der Kommentare liegt allein bei Lyrik123.de. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.