Ludwig Uhland Der blinde König (1804)

  Was steht der nord'schen Fechter Schar
  Hoch auf des Meeres Bord?
  Was will in seinem grauen Haar
  Der blinde König dort?
5 Er ruft, in bittrem Harme
  Auf seinen Stab gelehnt,
  Daß überm Meeresarme
  Das Eiland widertönt:

  »Gib, Räuber, aus dem Felsverlies
10 Die Tochter mir zurück!
  Ihr Harfenspiel, ihr Lied, so süß
  War meines Alters Glück.
  Vom Tanz auf grünem Strande
  Hast du sie weggeraubt;
15 Dir ist es ewig Schande,
  Mir beugt's das graue Haupt.«

  Da tritt aus seiner Kluft hervor
  Der Räuber, groß und wild,
  Er schwingt sein Hünenschwert empor
20 Und schlägt an seinen Schild:
  »Du hast ja viele Wächter,
  Warum denn litten's die?
  Dir dient so mancher Fechter,
  Und keiner kämpft um sie?«

25 Noch stehn die Fechter alle stumm,
  Tritt keiner aus den Reihn,
  Der blinde König kehrt sich um:
  »Bin ich denn ganz allein?«
  Da faßt des Vaters Rechte
30 Sein junger Sohn so warm:
  »Vergönn mir's, daß ich fechte!
  Wohl fühl ich Kraft im Arm.«

  »O Sohn, der Feind ist riesenstark,
  Ihm hielt noch keiner stand;
35 Und doch! in dir ist edles Mark,
  Ich fühl's am Druck der Hand.
  Nimm hier die alte Klinge!
  Sie ist der Skalden Preis.
  Und fällst du, so verschlinge
40 Die Flut mich armen Greis!«

  Und horch! es schäumet und es rauscht
  Der Nachen übers Meer.
  Der blinde König steht und lauscht,
  Und alles schweigt umher;
45 Bis drüben sich erhoben
  Der Schild' und Schwerter Schall
  Und Kampfgeschrei und Toben
  Und dumpfer Widerhall.

  Da ruft der Greis so freudig bang:
50 »Sagt an, was ihr erschaut!
  Mein Schwert, ich kenn's am guten Klang,
  Es gab so scharfen Laut.« –
  »Der Räuber ist gefallen,
  Er hat den blut'gen Lohn.
55 Heil dir, du Held vor allen,
  Du starker Königssohn!«

  Und wieder wird es still umher,
  Der König steht und lauscht:
  »Was hör ich kommen übers Meer?
60 Es rudert und es rauscht.« –
  »Sie kommen angefahren,
  Dein Sohn mit Schwert und Schild,
  In sonnenhellen Haaren
  Dein Töchterlein Gunild.«

65 »Willkommen!« ruft vom hohen Stein
  Der blinde Greis hinab,
  Nun wird mein Alter wonnig sein,
  Und ehrenvoll mein Grab.
  Du legst mir, Sohn, zur Seite
70 Das Schwert von gutem Klang,
  Gunilde du befreite,
  Singst mir den Grabgesang.«

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