Nikolaus Lenau Nächtliche Wanderung (1830)

  Die Nacht ist finster, schwül und bang,
  Der Wind im Walde tost;
  Ich wandre fort die Nacht entlang
  Und finde keinen Trost.

5 Und mir zur Seite, engelmild,
  Und, ach, so schmerzlich traut,
  Zieht mein Geleite hin, das Bild
  Von meiner toten Braut.

  Ihr bleiches Antlitz bittet mich,
10 Was mich ihr süßer Mund
  So zärtlich bat und feierlich
  In ihrer Sterbestund’:

  „Bezwinge fromm die Todeslust,
  Die dir im Auge starrt,
15 Wenn man mich bald von deiner Brust
  Fortreißet und verscharrt!“

  Da unten braust der wilde Bach,
  Führt reichen, frischen Tod,
  Die Wogen rufen laut mir nach:
20 „Komm, komm und trinke Tod!“

  Das klingt so lieblich wie Musik,
  Wird wo ein Paar getraut;
  Doch zieht vom Sprunge mich zurück
  Das Wort der toten Braut.

25 Stets finstrer wird der Wolkendrang,
  Der Sturm im Walde brüllt,
  Und ferne hebt sich Donnerklang,
  Der immer stärker schwillt.

  O schlängle dich, du Wetterstrahl,
30 Herab, ein Faden mir,
  Der aus dem Labyrinth der Qual
  Hinaus mich führt zu ihr!

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