Paul Gerhardt Ich bin ein Gast auf Erden (1653)

  Ich bin ein Gast auf Erden
  Und hab' hier keinen Stand;
  Der Himmel soll mir werden,
  Da ist mein Vaterland.
5 Hier reis' ich bis zum Grabe;
  Dort in der ew'gen Ruh'
  Ist Gottes Gnadengabe,
  Die schleußt all Arbeit zu.

  Was ist mein ganzes Wesen
10 Von meiner Jugend an
  Als Müh und Not gewesen?
  Solang ich denken kann,
  Hab ich so manchen Morgen,
  So manche liebe Nacht
15 Mit Kummer und mit Sorgen
  Des Herzens zugebracht.

  Mich hat auf meinen Wegen
  Manch harter Sturm erschreckt;
  Blitz, Donner, Wind und Regen
20 Hat mir manch Angst erweckt;
  Verfolgung, Haß und Neiden,
  Ob och's gleich nicht verschuld't,
  Hab ich doch müssen leiden
  Und tragen mit Geduld.

25 So ging's den lieben Alten,
  An deren Fuß und Pfad
  Wir uns noch täglich halten,
  Wenn's fehlt an gutem Rat.
  Wie mußte sich doch schmiegen
30 Der Vater Abraham,
  Bevor ihm sein Vergnügen
  Und rechte Wohnstatt kam!

  Wie manche schwere Bürde
  Trug Isaak, sein Sohn!
35 Und Jakob, deßen Würde
  Stieg bis zum Himmelsthron.
  Wie mußten sie sich plagen!
  In was für Weh und Schmerz,
  In was für Furcht und Zagen
40 Sank oft sein armes Herz!

  Die frommen, heil'gen Seelen,
  Die gingen fort und fort
  Und änderten mit Quälen
  Den erstbewohnten Ort;
45 Sie zogen hin und wieder,
  Ihr Kreuz war immer groß,
  Bis daß der Tod sie nieder
  Legt' in des Grabes Schoß.

  Ich habe mich ergeben
50 In gleiches Glück und Leid;
  Was will ich besser leben
  Als solche große Leut?
  Es muß ja durchgedrungen,
  Es muß gelitten sein;
55 Wer nicht hat wohl gerungen,
  Geht nicht zur Freude ein.

  So will ich zwar nun treiben
  Mein Leben durch die Welt;
  Doch denk' ich nicht zu bleiben
60 In diesem fremden Zelt.
  Ich wandre meine Straßen,
  Die zu der Heimat führt,
  Da mich ohn' alle Maßen
  Mein Vater trösten wird.

65 Mein' Heimath ist dort oben,
  Da aller Engel Schaar
  Den großen Herscher loben,
  Der Alles ganz und gar
  In seinen Händen träget
70 Und für und für erhält,
  Auch Alles hebt und leget,
  Nach dem's ihm wohl gefällt.

  Zu ihm steht mein Verlangen,
  Da wollt ich gerne hin;
75 Die Welt bin ich durchgangen,
  Daß ich's fast müde bin.
  Je länger ich hier walle,
  Je wen'ger find ich Freud,
  Die meinem Geist gefalle;
80 Das meist ist Herzeleid!

  Die Herberg' ist zu böse,
  Der Trübsal ist zu viel.
  Ach komm, mein Gott, erlöse
  Mein Herz, wenn dein Herz will!
85 Komm, mach ein selig Ende
  An meiner Wanderschaft;
  Und was mich kränkt, das wende
  Durch deines Armes Kraft!

  Wo ich gewohnt indessen,
90 Ist nicht mein rechtes Haus.
  Wenn meine Zeit durchmessen,
  Alsdann tret ich hinaus;
  Und was ich hie gebrauchet,
  Das leg ich Alles ab;
95 Und wenn ich ausgehauchet,
  So gräbt man mir mein Grab.

  Du aber, meine Freude,
  Du, meines Lebens Licht,
  Du zeuchst mich, wenn ich scheide,
100 Hin vor dein Angesicht
  Ins Haus der ew'gen Wonne,
  Da ich stets freudenvoll
  Gleich all die helle Sonne
  Nebst andern leuchten soll.

105 Da will ich immer wohnen,
  Und nicht nur als ein Gast,
  Bei denen, die mit Kronen
  Du ausgeschmücket hast;
  Da will ich herrlich singen
110 Von deinem großen Thun
  Und frei von schnöden Dingen
  In meinem Erbtheil ruhn.

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