Robert Reinick Vom schlafenden Apfel (1853)

  Im Baum, im grünen Bettchen
  Hoch oben sich ein Apfel wiegt,
  Der hat so rothe Bäckchen,
  Man sieht's, daß er im Schlafe liegt.

5 Ein Kind steht unter'm Baume,
  Das schaut und schaut und ruft hinauf:
  »Ach, Apfel, komm herunter!
  Hör' endlich doch mit Schlafen auf.«

  Es hat ihn so gebeten,
10 Glaubt Ihr, er wäre aufgewacht?
  Er rührt sich nicht im Bette,
  Sieht aus, als ob im Schlaf er lacht.

  Da kommt die liebe Sonne
  Am Himmel hoch daher spaziert. –
15 »Ach Sonne, liebe Sonne!
  Mach' du, daß sich der Apfel rührt!«

  Die Sonne spricht: »Warum nicht?«
  Und wirft ihm Strahlen in's Gesicht,
  Küßt ihn dazu so freundlich,
20 Der Apfel aber rührt sich nicht.

  Nu schau! Da kommt ein Vogel
  Und setzt sich auf den Baum hinauf.
  »Ei, Vogel, du mußt singen,
  Gewiß, gewiß, das weckt ihn auf!«

25 Der Vogel wetzt den Schnabel,
  Und singt ein Lied so wundernett.
  Und singt aus voller Kehle, –
  Der Apfel rührt sich nicht im Bett! – –

  Und wer kam nun gegangen?
30 Es war der Wind! Den kenn' ich schon,
  Der küßt nicht und der singt nicht,
  Der pfeift aus einem andern Ton.

  Er stemmt in beide Seiten
  Die Arme, bläst die Backen auf
35 Und bläst und bläst, und richtig,
  Der Apfel wacht erschrocken auf,

  Und springt vom Baum herunter
  Grad' in die Schürze von dem Kind,
  Das hebt ihn auf und freut sich
40 Und ruft: »Ich danke schön, Herr Wind!«

Neuen Kommentar hinzufügen

Die Technik der Kommentarfunktion "DISQUS" wird von einem externen Unternehmen, der Big Head Labs, Inc., San Francisco/USA., zur Verfügung gestellt, die Moderation der Kommentare liegt allein bei Lyrik123.de. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.