Theodor Fontane Der alte Derffling (1846)

  Es haben alle Stände
  So ihren Degenwert,
  Und selbst in Schneiderhände
  Kam einst das Heldenschwert;
5 Drum jeder, der da zünftig
  Mit Nadel und Scher',
  Der mache jetzt und künftig,
  Vor Derffling sein Honneur.

  In seinen jungen Tagen
10 War das ein Schneiderblut,
  Doch mocht' ihm nicht behagen
  So Zwirn wie Fingerhut,
  Und wenn er als Geselle
  So saß und fädelt' ein,
15 Schien ihm die Schneiderhölle
  Die Hölle selbst zu sein.

  Einst, als das Nadelhalten
  Ihm schier ans Leben ging,
  Dacht' er: »Das Schädelspalten
20 Ist doch ein ander Ding!«
  Fort warf er Maß und Elle
  Voll Kriegslust an der Wand
  Und nahm an Nadels Stelle
  Den Säbel in die Hand.

25 Sonst focht er still und friedlich,
  Nach Handwerksburschenrecht,
  Jetzt ward er unermüdlich
  Beim Fechten im Gefecht;
  Es war der flinke Schneider
30 Zum Stechen wohl geschickt,
  Oft hat er an die Kleider
  Dem Feinde was geflickt.

  Er stieg zu hohen Ehren,
  Feldmarschall ward er gar,
35 Es mocht' ihn wenig kehren,
  Daß er einst Schneider war;
  Nur, fand er einen Spötter,
  Verstund er keinen Spaß
  Und brummte: »Für Hundsfötter
40 Sitzt hier mein Ellenmaß.«

  Krank lag in seinem Schlosse
  Der greise Feldmarschall,
  Keins seiner Lieblingsrosse
  Kam wiehernd aus dem Stall;
45 Er sprach: »Als alter Schneider
  Weiß ich seit langer Zeit:
  Man wechselt seine Kleider –
  Auch hab' ich des nicht Leid.

  Es fehlt der alten Hülle
50 In Breite schon und Läng',
  Der Geist tritt in die Fülle,
  Der Leib wird ihm zu eng;
  Gesegnet sei dein Wille,
  Herr Gott, in letzter Not!«
55 Er sprach's und wurde stille –
  Der alte Held war tot.

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